Heimat-Jahrbuch 2003

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Protest: Rasenmähen am Sonntag

Das „Sonntagsverständnis“ hat sich rapide gewandelt

Als mein Mann und ich im Mai 1990 erstmals in die östlichen neuen Bundesländer fuhren, fiel mir auf, daß hier vermehrt an Sonntagen alltägliche Arbeiten verrichtet wurden. „Augenfällig” waren die zahlreichen voll behängten Wäscheleinen auf Balkonen und in Gärten. Die Augen für diese Sache geschärft, beobachtete ich auch bei uns im Westen, wenn auch weniger und dezenter diesen Trend. „Spitze” war das Rasenmähen am Sonntag, just in der Mittagszeit. Doch der spontane Protest der Nachbarn ließ die Maschine schnell verstummen. Was ist nur mit dem Sonntag geschehen? Hat sich unser „Sonntagsverständnis” so geändert? Wie war es denn früher?

Der Sonntag war wirklich ein Ruhetag, wie es in der Bibel steht: „... und am siebten Tage sollst du ruhen!” Eigentlich begann der Sonntag ja schon mit samstäglichen Ritualen. Nachdem in vielen Haushalten am Freitag alles geputzt und poliert wurde, war am Samstagmorgen der Wochenendeinkauf an der Reihe, natürlich in den Geschäften hier in Wittlaer. Dann bereitete die Hausfrau das Essen für den Tag vor und ließ den Sonntagsbraten schon einmal schmoren. Natürlich wurde auch für den Sonntagnachmittagskaffee gebacken. Wer noch keinen guten Backofen hatte oder große Mengen von Kuchen brauchte, bereitete das Gebäck ofenfertig zu und legte es auf große Bäckerbackbleche. So sah man dann auch samstags zahlreiche Frauen mit diesen Riesenblechen, rechts und links unter die Arme geklemmt, zum Bäcker Schmitz-Lökes laufen, um dort den Kuchen backen zu lassen.

Hier in der ländlichen Umgebung lagen auf Feldern und in Gärten immer noch Arbeiten an. Vor allen Dingen mußte der Straßenrand vor den Häusern - Bürgersteige gab es noch nicht - und wenn vorhanden, der Hof und vor dem Eingang gekehrt werden. Ich erinnere mich an Leute, die den Aschebelag oder die Erde mit der Laubharke in akurate Muster kehrten. All diese Arbeiten mußten möglichst bis zum Mittag getan sein; denn nach dem samstäglich üblichen Eintopfessen wurde gebadet. Natürlich hatte längst noch nicht jeder ein Badezimmer. Holzzuber oder Zinkwannen wurden in der Wasch- oder Wohnküche mit dem auf dem Herd in Kesseln erwärmten Wasser gefüllt. Dann badete man der Reihe nach, und häufig wurde so ein Badewasser von mehreren Personen hintereinander genutzt; denn Kohle und Holz, die man zum Erhitzen des Wassers brauchte, waren zu der Zeit knapp und teuer. Doch mit der Zeit änderte sich auch dies. Die Installation von Bädern im Haus schritt voran.

Eine beliebte Beschäftigung am Vorabend des Sonntages war das Radiohören. Man setzte sich rund um den Volksempfänger oder um das neue kleine Radio z.B. von Telefunken mit der UKW-Taste (Ultra-Kurz-Welle). Manche konnten sich sogar schon ein großes Radio leisten mit dem „Magischen Auge”, das die Tonschwankungen durch Lichtzeichen anzeigte. Auf der Senderskala waren viele deutsche und europäische Orte aufgezeigt, die man nach entsprechender Einstellung empfangen konnte. Ganz hoch im Kurs standen die „bunten Abende” an Samstagen mit Peter Frankenfeld oder „das ideale Brautpaar” mit Jacques Königstein, um nur zwei Beispiele zu benennen. Der Vorteil beim Radiohören war der, daß man Unterhaltung hatte, aber auch noch etwas dabei tun konnte, wie z.B. stricken oder andere Handarbeiten verrichten. Langsam begann dann aber auch der Siegeszug des Fernsehens. Wenn jemand ein solches Gerät hatte, war das schon eine kleine Sensation und man hatte keinen Grund, über Langeweile zu klagen; denn Nachbarn und Verwandte waren zu besonderen Sendungen bei Salzstangen und Bier Dauergäste.

Dann kam der Sonntagmorgen. Allein durch die Kleidung Sonntagskleid, Sonntagsanzug, Sonntagsstrümpfe und -schuhe und die Sonntagsschleife im Haar erhielt dieser Tag schon eine ganz besondere Bedeutung. Heute ist eine Sonntagskleidung nicht mehr üblich. Man geht korrekt gekleidet zur Arbeit oder festlich zu besonderen Anlässen. Am Sonntag aber ist die legere Kluft beliebt. Natürlich wurde auch an diesem Tag die gute Stube bzw. das Wohnzimmer benutzt. In der Winterzeit heizte man schon frühzeitig den Ofen an, damit der Raum temperiert war.

Als erstes ging die Familie, in der Regel geschlossen, am Sonntag in die Kirche. Wir Jugendlichen liebten die Frühmesse um 7 Uhr, denn dann hatten wir anschließend noch einen langen Sonntag vor uns. Nach dem Ende der hl. Messe überlegten wir alle zusammen oder auch in kleinen Gruppen, was wir unternehmen könnten. Diejenigen, die schon eine Tanzschule besucht hatten, gingen dorthin oder ins „Haus Kolvenbach” am Stoffeler Kapellchen zum Tanztee. Oder wir verabredeten uns fürs Kino. Die Programme der Lichtspielhäuser mit der Benotung der „Freiwilligen Selbstkontrolle”, die jede Woche in dem Schaukasten an der Kirche ausgehängt wurden, boten uns Entscheidungshilfen. Doch zuvor ging es aber wieder nach Hause. Die Mutter bereitete das Sonntagsessen zu. Der Vater liebte es, in dieser Zeit mit einem Stapel von Tageszeitungen im Wohnzimmer zu verschwinden. Bei der Musik von Schellack-Platten studierte er die neuesten Nachrichten. Anfangs war der Plattenspieler noch ein quadratischer Kasten mit einer großen Lautsprechertüte. Vor jedem Musikgenuß mußte man das Laufwerk mit einer Handkurbel aufziehen. Viel später kam dann die Musiktruhe mit dem „Zehnplattenwechsler”. Mein Bruder und ich waren froh, wenn Vater sich für diese Sonntagsbeschäftigung entschied. So wurden wir vor seiner zweiten Lieblingssitte, dem Vokabelpauken, für diesen Sonntag verschont.

Nach dem Mittagessen und der Hilfe beim Abwasch waren wir frei für unsere Verabredungen bis zum Abend. Sollte mal in dieser Hinsicht nichts abgesprochen sein, so hielt die ganze Familie Mittagsschlaf. Viele gingen dann ja spazieren. Wir aber spielten Gesellschaftsspiele und vom ersten bis zum letzten Sieger wurden Preise ausgesetzt. Als ich noch in die ersten Klassen der Volksschule ging, gab es noch eine Pflicht am Sonntagnachmittag, nämlich die Christenlehre in der Kirche zu besuchen. Von uns allen nicht besonders geliebt, kamen aber doch die meisten Kinder. Am Montag im Religionsunterricht in der Schule fragte nämlich Dechant Stypertz: „Wer war gestern nicht in der Christenlehre und warum nicht?” Zwei Antworten waren immer dabei: „Ich mußte mit meinen Eltern spazieren gehen.” Oder: „Ich mußte mit meinem Vater zum Fußballplatz.” Später entfiel diese Andacht.

Es gab eine Vielzahl von Sonntagsvergnügen, wie bereits erwähnt, aber ein ganz wichtiges fehlt hier noch. Der Sonntagnachmittag war die Besuchszeit der Woche. Familie oder Freunde wurden besucht oder zu Hause empfangen. Mit den Jahren änderte sich diese Gewohnheit. Dadurch, daß die meisten Menschen am Samstag nicht mehr arbeiten mußten, verlagerten sich ihre Aktivitäten auf den Samstag, um dann Sonntag davon auszuruhen. Da mit der Zeit auch immer mehr Frauen einem Beruf nachgingen, bot sich für so manche der Sonntag an, um entstehende Arbeiten zu erledigen, wie z.B. Wäsche waschen oder bügeln, womit ich wieder zum Anfang meiner Überlegungen zurückkehre. Für viele Menschen hat mit der Zeit der Sonntag einen anderen Sinn, eine andere Wertigkeit bekommen, zuerst ganz unbemerkt, inzwischen aber doch sehr augenfällig.

Käthi Resch