Heimat-Jahrbuch 2004

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Kleine Geschichten von vermögenden Kalkumern
Ein Nachtrag zur Zwangsanleihe von 1487
Von Rita Becker

Der Liste über die Zwangsanleihe des Herzogs Wilhelm II. von Jülich-Berg aus dem Jahre 1487 waren mehrere Vorentwürfe vorausgegangen, von denen eine die Namen von 14 begüterten Personen enthielt, die u.a. in Kalkum Immobilienbesitz hatten. In die später reduzierte, endgültige Fassung sind letztlich dann nur 9 von ihnen übernommen worden, von denen Geirlach Koelen, Claiss Metzen, Wilhelm Hencke und Kirstgen Myter heute nicht mehr fassbar sind. Um so erfreulicher ist es, dass uns die Quellen von den übrigen Personen einige interessante Mitteilungen hinterlassen haben.

Heynrich Dorenbusch
In den Jahren zwischen 1487 und 1502 gehört Heynrich Dorenbusch zusammen mit Johann Bellekoven zum Schöffenkollegium des Kreuzberger Landgerichts. Beide werden 1491 neben Adolph von der Bruggen und Werner in der Mullen, dem Schwiegersohn Dorenbuschs, auch als Kalkumer Kirch- und Brudermeister genannt. Im Juni 1475 pachten Heynrich Dorenbusch, seine Frau Hilliken und ihr erstgeborener Sohn Wilhelm vom Stift Kaiserswerth in Kalkum ein Gut, das sich „up der gaeten“ nennt und freies Rittergut ist. Bei einer späteren Verpachtung seitens des Kapitels an Heynrich Dorenbusch heißt es, dass ein kleines Kalkumer Gehöft, ein „gutken“ zur Verpachtung ansteht. Nach der vorliegenden Liste zählt Heynrich Dorenbusch zu den finanzkräftigsten Personen in Kalkum. Er steht mit einer hohen Steuersumme an erster Stelle! Dorenbusch besitzt sogar, obwohl er nicht dem Adelsstand angehört, ein eigenes Schöffensiegel, das in der Umschrift den Familiennamen und in der Mitte ein Geweih zeigt. Möglicherweise war sein Großvater jener Johann Dorenbusch, der 1434 zusammen mit Heinrich von Calcum als Verwahrer der Kalkumer Bruderschaft auftrat und mit Zeries und Wilhelm von Calchem zu den geschworenen Hofmännern des Kalkumer Fronhofs zählte. Im Vorentwurf zur Zwangsanleihe hatte man zunächst auch den Sohn, Wilhelm Dorenbusch, mit einbezogen, ihn aber dann letztlich nicht übernommen.

Geirhard to Zeppenheim
Es darf angenommen werden, dass hier jener Geirhard to Zeppenheim gemeint ist, der Bürger der Stadt Ratingen war. Mit seiner Frau Fyken bewohnte Geirhard ein Haus (leider undatiert), das 1443 noch außerhalb der Ratinger Vorstadt Bechem lag. Das Haus hatte zu dieser Zeit einem Heynken Sibertz gehört, war dann um 1468 an einen Arndtz Zeppenes vermietet worden und später in den Besitz von Geirhard to Zeppenheim übergegangen, der außerdem (ebenfalls undatiert) die Ratinger Immobilien von Henken und Bele Zeppenems zum Eigentum hatte. Sein Kalkumer bzw. Zeppenheimer Besitz stammte möglicherweise von einem Vorfahr namens Arnoldus von Zeppenheim, der um 1430 in Zeppenheim das „Waulberg Gut“ besaß und Kammerknecht (Hofdiener) des bergischen Herzogs Adolf VII. (I.) war bzw. später in Diensten der herzoglichen Gattin Jolanthe von Bar stand.

Im Jahre 1494 gehört Geirhard to Zeppenheim zum Magistrat der Stadt Ratingen. In seiner Eigenschaft als Ratsherr macht er sich am 27. Februar des besagten Jahres zusammen mit dem Bürgermeister Bruno Goltsmyt und dem Schöffen Johann Haen nach Neuss auf, um vor dem Dechant und dem versammelten Kapitel des Dekanates Neuss zum wiederholten Mal die strittige Frage zu erörtern, wer denn nun für die Reparatur des Dachstuhls der Pfarrkirche St. Peter (erst ab 1678 erscheinen Petrus und Paulus als Kirchenpatrone) verantwortlich sei. Schon seit Jahren war das Dach über dem Langhaus der Kirche in einem derart ruinösen Zustand, dass hereinströmender Regen in die Gewölbe gedrungen war und auf die Kirchenbesucher nieder tropfte. St. Peter unterstand seit dem 12. Jahrhundert dem amtierenden Kölner Dompropst, dem die Einkünfte aus dieser Pfarrei vom Erzbischof zugewiesen worden waren. Hiernach war der Dompropst Patronats- und Pfarrherr der Ratinger, Inhaber des Großen Zehnten und somit verpflichtet, die Hauptteile der Kirche in Stand zu halten. Trotz der gefahrvollen Verhältnisse weigerte sich der Dompropst Georg Graf von Sayn-Wittgenstein beharrlich, die Wiederherstellung des Daches in Auftrag zu geben und bestritt seine Verpflichtung dazu. Vom Neusser Dekanatskapitel wurde nun an jenem Februartag 1494 zum wiederholten Male entschieden, dass der Dompropst die reparaturbedürftige Dachfläche der Pfarrkirche in Stand zu setzen habe. Wie es aber scheint, hat der Besuch der Ratinger Delegation auch diesmal nicht gefruchtet, denn 1495 musste sich der Bürgermeister mit zwei seiner „Gesellen“ in dieser Angelegenheit nochmals nach Neuss begeben.

Johann Bellekoven
Das Haus des Johann Bellekoven (auch Bellichoeve, Bellingkhoff, Bellinghoven) und seiner Frau Lyß stand nördlich der Kalkumer Kirche und war an die Kirchhofsmauer gebaut, „...mit einer siden auff die kirch muer zu Calchum, zu der norden siden...“. Zwischen 1487 und 1502 wird Johann Bellekoven zusammen mit dem Kalkumer Heynrich Dorenbusch als Schöffe des Kreuzberger Landgerichts genannt. Neben dem Schöffen Dorenbusch und zwei weiteren Personen fungiert Bellekoven im Jahre 1491 in Kalkum auch als Kirch- und Brudermeister. 1480 nennt das Mitgliederverzeichnis der Kaiserswerther Sankt Jakobsbruderschaft einen „Johan Bellechaven sin huisfrau ind kinder“, der, nach H. Burghard, vermutlich zu den Schöffen des Gerichts Kreuzberg zählte. („Kaiserswerth im späten Mittelalter“, 1994) Danach darf wohl davon ausgegangen werden, dass dieser mit dem Kalkumer Bellekoven identisch war, zumal Burghard einräumt, dass auch außerhalb der Stadt wohnende Bürger der Vereinigung angehört hätten.

Ob Johann Bellekoven auch zu jenen zählte, die zum Grab des hl. Jakob nach Santiago di Compostela gepilgert waren und ob er später, nach der Rückkehr, sein mitgebrachtes Pilgerzeichen, das sog „teiken“, an den Jacobs-Altar in der Kaiserswerther Stiftskirche gehängt hat, ist den Aufzeichnungen nicht zu entnehmen. Heute erinnert die im Mai 2003 auf dem Stiftsplatz aufgestellte Pilgerstatue von Bert Gerresheim an diese viele Jahrhunderte zurückliegende Pilgertradition.

Die Familie Bellinghoven soll ihrem Ursprung nach aus der Umgebung von Wesel stammen und drei Glocken (Bell) bzw. Schellen im Wappen geführt haben. Ihr Kalkumer Haus, das an die nördliche Mauer des Kirchplatzes gebaut war und für deren Benutzung der Gastwirt Wilhelm Schmitz noch 1849 eine Grund- bzw. Naturalrente zu zahlen hatte, wurde Ende des 19. Jhds. zu Nebengebäuden umgebaut. Gleichzeitig entstand ein großer Neubau angrenzend an die heutige Oberdorf-/Edmund-Bertrams-Straße. Nach einer Zeitungsmeldung war im Mai 1951 noch der alte steinerne Torbogen mit dem Familienwappen der Bellinghovens zu sehen, bevor er kurze Zeit später abgerissen wurde. Das gesamte Anwesen verschwand im Herbst 1970. In Erinnerung geblieben ist das Haus als „Bollingerhof“ mit Gaststätte und großem Tanzsaal.

Diederich im Broichhove
Das „goede to Calcheym“ (Gut zu Kalkum) des Diederich, der „Broichhove“ genannt, ist das einzige namentlich genannte Anwesen dieser Liste. Es lag nachweislich im Kalkumer Unterdorf. 1487 ist die Immobilie des Diederich ein hoch besteuertes Anwesen, und auch in späteren Jahrhunderten ist der Hof bei eingeforderten Abgaben immer in den oberen Kategorien zu finden. Möglicherweise ist dieser Diederich im Broichhove identisch mit jenem Diderich Gottschalks, der nur im Vorentwurf zur Zwangsanleihe erscheint. Auf dem ehemaligen Hausplatz des Broichhofes stehen heute neben einer alten Fachwerkscheune ein größeres Wohnhaus, das nach einem Brand im Jahre 1927 auf den Mauern des Vorgängerbaus errichtet wurde, sowie ein kleines, mehrfach umgebautes Hinterhaus. Auffallend ist, dass der Standort des gesamten Gebäudekomplexes ca. 28 Meter von der Dorfstraße entfernt liegt. Auch nach dem Kalkumer Urkataster von 1824 war der Broichhof der am weitesten von der Dorfstraße entfernt liegende Hof im ganzen Unter- und Oberdorf. Nahezu alle anderen Häuser lagen bzw. liegen noch heute unmittelbar an der Straße. Im Laufe der Jahrhunderte hat der Hof seinen Namen nur unwesentlich verändert: 1604 Henrich, Konkauff im Brockhoff, 1613 Brockhoffs Kott, 1620 Hermann im kleinen Brockhoff, 1631 Hermann ihm Brockhoff, 1730 Gerard Busch im Brockhoff, 1734 Hermann ahm Brockhof, 1784 kleine Brockhof, 1824 Kleinbrockhof. Heute: Unterdorfstr. 25, 25a, 27.

Arndt Leydecker
Im letzten Viertel des 15. Jahrhunderts besitzen Arndt Leydecker und Junker Ailf von Hanxlede in Kalkum ein Haus mit Zugbrücke. Es wird ausdrücklich gesagt, dass Arndt Leydecker dieses Haus auch bewohnt hat. Leider ist der ehemalige Standort unbekannt, es dürfte aber neben der Kalkumer Wasserburg der Familie von Winkelhausen ein bemerkenswertes Anwesen gewesen sein. Um das Jahr 1480 wendet sich Arndt Leydecker in einem Brief an seinen Landesherrn, Herzog Wilhelm II., in dem er ihn um Schutz gegen die Ansprüche des Neusser Dechanten und um Verteidigung seiner Rechte als freier Rittergutsbesitzer bittet. Er schreibt, der in Neuss amtierende Dechant (zu dessen Dekanat u.a. auch Kalkum gehörte) verlange von ihm, er solle, wie einige seiner Kalkumer Mitbürger, sich als Schöffe des kirchlichen Gerichtes, des sog. „Sendgerichtes“, zur Verfügung stellen. Nach damaliger Überzeugung war das Sendgericht das geeignetste Mittel, die Religiosität zu erhalten und die Unsittlichkeit im Volk zu bekämpfen. Unter gewissenhafter Leitung konnte der Send eine wichtige Stütze sowohl der kirchlichen Obrigkeit als auch der Landespolizeigewalt sein. Die Gerichtsverhandlungen bezogen sich auf alltäglich vorkommende Vergehen gegen Sitte und Kirchengesetz wie öffentliche Unsittlichkeit, Meineid, falsches Zeugnis, Diebstahl und Gottesraub, Entweihung der Sonn- und Feiertage, Übertretung der Fastengebote, Aberglauben und Gotteslästerung. Es darf angenommen werden, dass auch das Kalkumer Sendgericht, wie allgemein üblich, in der Vorhalle der Kirche tagte, die sicherlich größer als die heutige war.

Arndt Leydecker lehnt das ihm angetragene Amt des Sendschöffen mit der Begründung ab, dass er mit der Ausübung der kirchlichen Gerichtsbarkeit seine ihm als freier Rittergutsbesitzer zustehenden Gerechtsame verlustig gehe. Diese Privilegien werden hier zwar nicht näher definiert, jedoch zählten dazu u.a. der Besitz einer Zugbrücke wie auch die Berechtigung zum Geldverleih. Über den Landdrosten hatte Leydecker wegen seiner Befreiung vom Schöffenamt bereits interveniert, was nicht gefruchtet hatte, im Gegenteil, der Dechant hatte ihn angesichts seines Starrsinns mit einer Strafe von 3 Gulden belegt und ihm das Betreten der Kirche verboten. In besagtem Brief bittet Arndt Leydecker nun noch einmal, ihm das Recht der Besitzer freier Rittergüter zuteil werden zu lassen. Möglicherweise liegt hier die Ursache der Hartnäckigkeit seitens des Dechanten. Leydecker besitzt zwar ein freies Rittergut (zusammen mit dem adligen Ailf von Hanxlede), zählt auch zu den wohlhabenden Personen in Kalkum, gehört aber selbst nicht der Oberschicht an. Möglich wäre auch, dass Leydecker seinen Immobilienbesitz nur als Vorwand für die Ablehnung benutzt hat, denn das Amt des Sendschöffen war wegen der Anzeigepflicht der Vergehen in der Pfarrgemeinde ein denkbar unbeliebtes, das man tunlichst von sich abwälzte. Auffallend ist, dass die von Arndt Leydecker zu zahlende Zwangsanleihe sehr niedrig angesetzt ist. In späteren Jahrhunderten hat es im Dorf Kalkum ein Leydeckersgut bzw. einen Leydeckerskothen gegeben, aber auch da weiß man nicht, wo dieser gestanden hat.