Heimat-Jahrbuch 2005

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„Wunderwaffen“ des Führers
Kriegsende vor 60 Jahren: Die letzten Tage in Kaiserswerth
Von Fritz Koenemann

Nach der Landung der alliierten Streit­kräfte am 6. Juni 1944 in der Normandie und dem Durchbruch der Amerikaner bei Avranches am 31. Juli rückten die gegnerischen Armeen unter schweren Kämpfen nach Deutschland und gegen den Rhein vor. Nachdem die 2. Britische Armee am 27. Februar 1945 den Rhein nördlich Kalkar erreicht hatte, drangen in den Tagen des 2. und 3. März Truppen der 3. US-Armee zum Rhein im Raume Krefeld/Düsseldorf vor.

In diesen Tagen weilte ich - damals als Oberleutnant zur Heeresgruppe H, General­oberst Blaskowitz, gehörend - für kurze Zeit in Kaiserswerth. Ich stand gegen Abend des 2. März am Rhein vor dem Suitbertusdom und beobachtete von hier aus mit dem Fernglas das Geschehen auf der linken Rheinseite. Ge­fechtslärm schallte herüber. Weiße Tücher an vielen Häusern von Nierst. Weiter nichts fest­zustellen.

„Kaiserswerth verteidigen“
Am Morgen des 3. März standen amerikani­sche Soldaten am Rhein gegenüber Kaisers­werth. Von meiner Wohnung aus sah ich, dass aus Richtung Düsseldorf deutsche Solda­ten in etwa Kompaniestärke unter Führung eines jungen Leutnants heranmarschierten. Die Kompanie hielt. Ich fragte den Leutnant, wel­che Aufgabe er hier habe. Die Antwort: „Wir haben Kaiserswerth zu verteidi­gen!“ Auf meine vorsichtige Frage, ob das noch einen Sinn habe, sagte der Leutnant: „Un­ser Major hat heute Morgen erklärt, dass der Führer eine neue Waffe gegen die Russen ein­gesetzt hat. Die Russen sind bereits 125 Kilo­meter zurückgeschlagen.“ Die gläubige Berufung auf solche Erzäh­lung und die Art, wie die Worte von dem jun­gen Leutnant vorgebracht wurden, zeigten mir, wen ich vor mir hatte. Ich dankte dem Leut­nant für seine Auskunft. Die Kompanie diente der Verstärkung der in Kaiserswerth schon anwesenden deutschen Truppen.

In den Straßen des Städtchens standen Militärfahrzeuge, teils schlecht, teils überhaupt nicht getarnt umher. Es bestand daher die große Gefahr, dass der Gegner schon deshalb Kaiserswerth unter Feuer nehmen würde. Seine Flugzeuge kamen wiederholt über die Stadt geflogen. Deshalb suchte ich den für die Fahr­zeuge zuständigen Major auf, der seine Dienststelle in einer Gaststätte am Kaiserswerther Markt hatte. Ich wies ihn auf die man­gelhafte Tarnung der Fahrzeuge und auf die dadurch für Kaiserswerth bestehende Gefahr hin. Er aber lehnte Schutzmaßnahmen mit der Erklärung ab: „Auf eine Stadt mehr oder weniger in Deutschland kommt es nicht mehr an.“

Was nun weiter in Kaiserswerth geschah, kann ich aus eigenem Erleben nicht berich­ten, weil ich wieder zu meiner Truppe zurück musste. Als ich später aus der Gefangenschaft heimkehrte, hörte ich, wie sich die Verteidi­gung von Kaiserswerth vollzogen und welche Folgen sie für die Stadt und ihre Einwohner gehabt hatte. Bei meinem Gang durch die Stadt sah ich viele beschädigte Häuser und vor allem den überaus schwer beschädigten Suitbertusdom. Die Kaiserswerther Bürger erzählten mir, was sie an Traurigem erlebt hatten.

Tote, Verwundete, Trümmer
Die Brücken über den Kittelbach wurden gesprengt. Das südliche Tor der Stadt in der Straße An St. Swidbert, das ehemalige Kuhtor, wurde durch eine Panzersperre geschlossen. Laufgräben wurden am Deich gegraben, um von dort aus die Amerikaner mit Maschinen­gewehr- und Granatwerferfeuer unter Beschuss zu nehmen. In einem der großen Westtürme des Domes wurde ein Maschinengewehr in Stellung gebracht, um auch von hier aus den Gegner zu bekämpfen. Die Maßnahmen der Wehrmacht hatten zur Folge, dass Kaiserswerth von den Amerikanern ab dem 4. März mit Artilleriefeuer belegt wurde. Es gab Tote und Verwundete in der Zivilbe­völkerung. Am Morgen des Ostersonntag, 1. April, lagen tote Frauen in der Straße, Frauen, die Milch für ihre Kinder hatten holen wollen. Noch viele Kaiserswerther Männer zwi­schen 16 und 60 Jahren, die man für waffenfä­hig hielt, wurden zum Dienst im „Volkssturm“ gezwungen. Ohne ausreichende Ausbildung und Ausrüstung wurden sie in die wankende deutsche Front eingesetzt, wobei noch manche getötet oder verwundet wurden.

Großer Sachschaden entstand an Häusern und am Suitbertusdom. Die zwei prächtigen Westtürme des Domes wurden abgeschossen, nur traurige Stümpfe blieben bestehen. Auch die Spitzen der zwei kleineren Osttürme wur­den ein Opfer der Beschießung. Der westliche Teil des Daches stürzte ein. Die Ostermesse wurde im Keller des Rheinhauses, des ehema­ligen Kapuzinerklosters, gefeiert. Dichtge­drängt saßen und standen hier die Menschen und beteten inbrünstig um Befreiung von der Not.

Versorgungsmängel
Die Bevölkerung, die ihre Tage und Nächte teils in den Kellern ihrer Wohnungen, teils in dem großen Hochbunker an der Klemensbrücke, teils in dem kleinen Flachbunker am Kuhtor zubrachte, litt sehr unter dem Mangel der Versorgung mit Wasser, Strom und Gas. Die hygienischen Verhältnisse in den Bunkern waren erschreckend. Eine Granate durch­schlug die Wand des Hochbunkers und ver­letzte eine darin Schutz suchende Frau schwer.

Inzwischen verbuchten die alliierten Streit­kräfte weitere Fortschritte. Amerikanische Truppen gingen ab 7. März bei Remagen über den Rhein. Britische und amerikanische Trup­pen überschritten in der Nacht zum 24. März bei Wesel den Strom. Diesen Verbänden ge­lang es, von Norden und Süden her den Be­reich der unter dem Befehl des Generalfeld­marschalls Model stehenden Heeresgruppe B, den sogenannten Ruhrkessel, zu dem auch Düsseldorf mit Kaiserswerth gehörte, einzu­schließen und die dort stehenden 21 Divisio­nen bis zum 18. April zur Kapitulation zu zwingen.

Bevölkerung atmete auf
Am Morgen des 18. April besetzten ameri­kanische Truppen Kaiserswerth. Die Bevölke­rung atmete auf; fast sieben Wochen hatte sie in Gefahren, Schrecken und Ängsten gelebt. „Schmitze Jüngke“, wie man den Kohlen­händler Schmitz nannte, steckte an seinem Haus die weiße Fahne heraus, ein am Besen­stiel befestigtes Betttuch. Endlich war der so heiß ersehnte Tag der Befreiung vom Nazijoch gekommen. Generalfeldmarschall Model, neben Hitler verantwortlich für die sinnlose Verteidigung des Rheins, machte seinem Leben am 21. April im Duisburger Wald durch Erschießen ein Ende.

Fritz Koenemann