Heimat-Jahrbuch 2006

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Abenteuer, Mord und Totschlag ...aber nur auf dem Papier
Die Wittlaerer Autorin Christa-Maria Zimmermann wurde mit dem Friedrich-Gerstäcker-Preis für Jugendliteratur ausgezeichnet
Von Susanne Krebs

Der Friedrich-Gerstäcker-Preis ist der älteste Jugendbuchpreis von Deutschland. Er wurde 1947 zum Andenken an den Abenteurer und Weltreisenden Friedrich Gerstäcker gestiftet, der 1816 in Hamburg geboren wurde, 1872 in Braunschweig starb und mit seinen spannenden Romanen einer der meistgelesenen Autoren seiner Zeit war. Alle zwei Jahre würdigt die Stadt Braunschweig ein deutschsprachiges Werk, das Jugendlichen ab 12 Jahren fremde Völker und fremde Kulturen näher bringt. Im November 2005 wurde die Düsseldorfer Autorin Christa-Maria Zimmermann, die in Wittlaer wohnt, mit diesem Preis ausgezeichnet, und zwar für ihr Buch „Hundert Tage bis Lhasa“, das 2004 im Arena-Verlag erschien.

„Sie nimmt darin ein ungewöhnliches historisches Thema auf, das sich von jenen historischen Romanen, die bislang mit dem Friedrich-Gerstäcker-Preis ausgezeichnet worden sind, in der Fokussierung von Geschichte, Religion, Kultur und Natur unterscheidet“, schrieb die Jury. „Das Buch ist von hoher sprachlicher Qualität, unterhaltsam und informativ.“ Es schildert die abenteuerliche Reise der 13-jährigen Halbchinesin Pema durch Tibet, die sich einer alten bettelnden Pilgerin und einem jungen Lama anschließt, ohne zu ahnen, dass es sich bei den beiden seltsamen Wanderern um die französische Forscherin Alexandra David-Neel und ihren Sekretär handelt.

Der Spruch der Jury, der zum ersten Mal auch die Vertreterin einer Jugend-Jury angehörte, erfolgte einstimmig. Unter den acht Büchern, die es in die Endauswahl schafften, war noch ein zweites Buch der Düsseldorfer Autorin: „Die Straße zwischen den Welten“, in der aus der Sicht zweier Schiffsjungen die Entdeckung der Nordwest-Passage unter John Franklin und das katastrophale Ende der Expedition beschrieben werden. „Dieses Ende hat mich fast zur Verzweiflung getrieben. Wie soll man Kannibalismus schildern, und zwar so, dass die Eltern nicht protestieren? Die sind überhaupt oft viel empfindlicher als ihre Sprösslinge.“

Wie wird man eigentlich Schriftstellerin? „Es gibt viele Autoren, die wissen schon als Kinder, dass sie später einmal Bücher schreiben wollen. Zu denen gehöre ich nicht. Ich war zwar eine richtige Leseratte (sogar in der Schule hatte ich oft ein Buch unter der Bank, am liebsten Abenteuer aus alten Zeiten, Hauptsache spannend), und hab auch ein paar kleine Beiträge für die Kinderseite der Zeitung verfasst. Aber eigentlich wollte ich am liebsten Ballett-Tänzerin werden. Meine Eltern waren absolut dagegen und sehr erleichtert, als ich für eine Ballerina viel zu lang wurde. Als dann der Traum vom Tanzen endgültig geplatzt war, da blieb als zweitliebste Betätigung das Schreiben.“ Also machte sie nach dem Abitur ein Zeitungsvolontariat bei der Rheinischen Post, studierte dann Kunstgeschichte und Geschichte in Wien und arbeitete in den Semesterferien als Redakteurin. Nach der Heirat mit einem Düsseldorfer Richter wechselte sie an die Uni Köln, ihre Dissertation über den Maler Johann Peter Hasenclever (1810-1853) verschwand allerdings nach der Geburt von drei Töchtern in der Schublade und das Verfassen von Artikeln wurde zum Nebenberuf degradiert: „Ich fand meine Kinder viel wichtiger als eine Karriere.“

So etwas liest kein Kind Ganz konnte sie das Schreiben aber doch nicht lassen - sehr zur Freude ihres Vaters. Denn Dr. Hans Stöcker, langjähriger Leiter der Lokalredaktion der Rheinischen Post, ebenso langjähriger Herausgeber der Monatszeitschrift „Das Tor“ und Verfasser zahlreicher Bücher zur Düsseldorfer Stadtgeschichte, schätzte die Mitarbeit der Tochter. 1977 bekam er vom Kölner Bachem-Verlag einen Auftrag für einen Stadtführer für Kinder. Er zeigte ihr die ersten Kapitel und sie sagte ehrlich: „Also weißt du, so etwas liest kein Kind! Solche Bandwurmsätze und so viele Fremdwörter! Und alles so gelehrt!“ Erst war er ein bisschen beleidigt, schlug aber dann vor: „Wenn du meinst, dass du es besser kannst, dann schreib du doch. Ich helf dir auch, wenn du etwas nicht weißt.“ Und diese Hilfe war bitter nötig, denn von Düsseldorfer Stadtgeschichte hatte die Autorin damals eine eher summarische Vorstellung. Unter seiner Anleitung arbeitete sie sich durch die einschlägige Literatur. „Geh mit durch Düsseldorf“ erschien dann unter beider Namen, und der Vater war sehr stolz auf den Erfolg.

Schon im nächsten Jahr wurde die Gemeinschaftsarbeit fortgesetzt. Im Auftrag der Stadt Düsseldorf begannen die Recherchen zu dem Band „Kayserswerth. 1300 Jahre Heilige, Kaiser, Reformer“, der 1980 zum Stadtjubiläum von Kaiserswerth erschien. Der Bachem-Verlag sah inzwischen voller Zufriedenheit, dass er in Düsseldorf wohl eine Marktlücke entdeckt hatte und bestellte gleich die nächsten Bücher bei Christa-Maria Zimmermann. 1981 erschien „Die Marktstraße. Kinder erleben Düsseldorfer Geschichte“ und 1984 „So lebten sie im alten Düsseldorf“.

Die Familie war mittlerweile nach Wittlaer gezogen und hatte sich um das vierte Kind, einen Jungen, vermehrt. Zeit zum Schreiben war jetzt nur noch abends, wenn die Kinder im Bett waren, und Zeit für Archiv-Besuche gab es überhaupt nicht mehr. Die Autorin war nicht traurig darüber. Sie hatte inzwischen entdeckt, dass das Erfinden von Figuren viel mehr Spaß machte als das Auswerten von Akten. „Ich schreibe einen Roman“, verkündete sie der erstaunten Familie. „Eine richtige Schmonzette mit Herz und Schmerz und Mord und Totschlag.“ Natürlich gab es auch hier einen Bezug zur inzwischen vertrauten Kaiserswerther Geschichte: Die Hautperson in „Die gekaufte Braut“ landet nach aufregenden und tatsächlich mörderischen Verwicklungen bei Pastor Fliedner in Kaiserswerth - nach dem Vorbild von Florence Nightingale.

Historische Krimis Jetzt kam eine neue Erfahrung: Das Suchen eines Verlages, denn Bachem druckte keine Romane. Der Lektor gab Ratschläge: „Bloß nicht das ganze Manuskript schicken, nur ein paar Höhepunkte, dann beißen sie eher an.“ Einer biss tatsächlich prompt an: der Econ Verlag, damals noch in Düsseldorf. Als „Die gekaufte Braut“ noch im Erscheinungsjahr 1995 die nächste Auflage erlebte, befand die Lektorin: „Am besten spezialisieren Sie sich auf historische Krimis. Das scheint Ihnen zu liegen, und außerdem gehen die im Moment ganz toll. Ich plane gerade eine historische Reihe, da sollten Sie mitmachen.“ So entstand „Das ehrenwerte Haus“ um das rätselhafte Verschwinden einer reichen Kaufmannsfrau aus dem mittelalterlichen Kaiserswerth und „Der Schmuck der Sarazenin“ um ein Mordkomplott bei der Entstehung des Suitbertus-Schreines.

Christa-Maria Zimmermann hatte inzwischen noch ein neues Hobby entdeckt: das Vorlesen. Das Kulturamt hatte bereits 1990 - lange vor Pisa! - den Zusammenhang von Lektüre und schulischem Erfolg erkannt. „Düsseldorfer Autoren lesen in der Grundschule“ hieß (und heißt!) die Aktion und „Die Marktstraße“ war von Anfang an dabei. Inzwischen liest die Wittlaererin auch vor Älteren und aus späteren Büchern und findet das fast so schön wie Schreiben. Es ist sehr spannend für sie, die Reaktionen der Zuhörer zu beobachten, ihre Fragen zum Büchermachen zu beantworten und mit ihnen über die Texte zu reden. Die Antwort auf eine häufig gestellte Frage, nämlich nach dem Verdienst, löst regelmäßig Empörung aus. „Da kriegt man ja als Putzfrau mehr!“ Aber Harry Potter und Genossen sind nun mal die große Ausnahme. Dass man vom Bücherschreiben nicht leben kann, damit hat sich die Autorin längst abgefunden.

„Die Kinder erzählen immer so begeistert von ihren Lesungen“, sagte der Bibliothekar in der Kaiserswerther Stadtbücherei eines Tages. „Können Sie nicht mal eine Geschichte aus Kaiserswerth schreiben?“ So entstanden die ersten beiden Kapitel von „Das Gespenst in der Burgruine“ und wurden über Jahre hinweg d i e Texte, die die Autorin selbst am liebsten vortrug. „Und was wird aus dem Schatz?“, wurde sie dann immer bestürmt. „Das weiß ich nicht. Die Geschichte ist ja noch nicht fertig.“ Dann kamen stapelweise Briefe mit Vorschlägen für einen spannenden Schluss - von Viertklässlern!

Schließlich erschien „Das Gespenst in der Burgruine“ 1997 im Loewe Verlag, im gleichen Jahr wie der Krimi „Und sie tat als ob sie schlief“ bei Econ. „Für den hab ich meine verstaubte Doktorarbeit verwurstet. Jetzt vereitelt Johann Peter Hasenclever wenigstens einen Mord an einer jungen Engländerin in der Düsseldorfer Malerakademie im alten Schloss.“ Nur noch ein Krimi folgte: „Brüderlein fein“, dann verhinderten Aufträge vom Loewe- und später vom Arena-Verlag das Ersinnen von perfiden Mordmethoden oder wasserdichten Alibis. Inzwischen scheint die Autorin auf Abenteuer-Romane abonniert. Und alle spielen in der Vergangenheit: Im Ägypten des Pharaos Ramses II., bei Siedlern und Indianern am Roten Fluss in Kanada, bei der Erforschung von Antarktis und Arktis durch Shackleton und Franklin, beim Untergang der Titanic und der Hindenburg.

Von Anfang an waren ihre Kinder Test-Leser. Wenn sie es kaum erwarten konnten, dass eine Seite fertig getippt war und wenn sie sich stritten, wer sie als erster kriegte, dann bedeutete das: Der Text ist in Ordnung. Noch heute sind die Vier die ersten, die jedes neue Kapitel einer Geschichte lesen. Ihre Einwände werden immer berücksichtigt, und wenn ihnen etwas überhaupt nicht gefällt, wird es geändert. Die Dritte hat geweint, als die Halbjüdin Thea in dem explodierenden Zeppelin Hindenburg verbrannte, und der Jüngste war richtig empört, als der Bäckerjunge Chris mit der Titanic unterging. „Du bist ja echt gemein! Du kannst den armen Jungen doch nicht auch noch sterben lassen, wo schon so viele tot sind.“ Also sind Thea und Chris am Leben geblieben.

Ein halbes Jahr Vorarbeit Bevor die Autorin ein neues Buch anfängt, braucht sie mindestens ein halbes Jahr fürs Recherchieren. Denn sie erfindet nur die Hauptpersonen - die Nebenfiguren und die Schauplätze und die Lebensumstände stimmen bis in jede Kleinigkeit. Wenn sie sich im sogenannten historischen Hintergrund sicher fühlt, beginnt erst die eigentliche Arbeit: Welche Figuren passen in diese Umgebung? Welchen Lebenslauf sollen sie haben? Wer trifft wen - wann - warum? Worüber reden sie? Was erleben sie? Wenn der Druck des Abgabetermins nicht wäre, würde diese Phase noch länger dauern. Ohnehin braucht die Autorin meistens ein Jahr, bis ein Buch fertig ist. Bloß „Die Nacht als die Titanic sank“ ist schneller entstanden, dafür aber zeitweise in Nachtarbeit, denn sie musste in den Buchhandlungen sein, bevor der Film in die Kinos kam.

Mit ihrem jüngsten Buch „Hexentanz“, das im Oktober 2005 erschien, ist die Wittlaererin wieder zu ihren Kaiserswerther Anfängen zurückgekehrt. „Ist meine Schwester eine Hexe?“ hieß die Geschichte, die sie vor fast zwanzig Jahren in der Kaiserswerther Stadtbibliothek vortrug. Immer wieder hat sie einen neuen Anlauf unternommen, um daraus ein Buch zu machen, und das Manuskript immer wieder zu Seite gelegt. „Friedrich Spees Kampf gegen die Hexenverfolgung ist ein Thema, von dem man Albträume bekommen kann. Noch kein Buch ist mir so schwer gefallen.“ Wieder beruht die Geschichte auf einer wahren Begebenheit, diesmal aus dem Dreißigjährigen Krieg, und nach den vielen exotischen Schauplätzen ist hier wieder Kaiserswerth der Ort der Handlung.

Neue Pläne? Aber natürlich! „Das Gold des Columbus“ zum 500. Todestag des Entdeckers ist schon in Arbeit.