Heimat-Jahrbuch 2007

« zurück
Immer noch bereit für etwas Neues
Der Wittlaerer Künstler Hannes Esser - Sein Atelier ist Arbeitsplatz, Archiv und Raritätenkabinett
Von Christa-Maria Zimmermann

„Genau so hab ich mir ein echtes Atelier immer vorgestellt“, sagt die Dame schwärmerisch zu ihrem Begleiter. „Schon der Eingang durch dieses verwunschene Gärtchen! Man watet ja förmlich durch Blumen. Und dann die Wand ganz aus Glas! Und dahinter diese Fülle von Bildern. Es gibt ja kaum ein freies Plätzchen. Und alle so verschieden! Stilleben, Landschaften, Porträts, Collagen, abstrakte Werke! In Öl, in Pastell, in Kohle! Und hast du diese wunderbaren Fliesen auf dem Fußboden gesehen? Und erst die Wandkacheln in der Küche! Die sehen aus wie antike Stücke aus Mittelamerika, findest du nicht? Ob der Künstler sie dort ausgegraben hat? Er soll ja durch die ganze Welt gereist sein. Und die Schalen und Krüge an den Wänden, ob die auch antik sind? Und hast du das Schiff unter der Decke gesehen? Ob das ein Kanu ist? Wieso hängt es bloß da? Ob ich ihn wohl mal fragen kann, was meinst du?“ Sie sieht ihren Begleiter erwartungsvoll an. Der hat ihrem Redeschwall offensichtlich gar nicht zugehört, sondern betrachtet versunken eine Kreidezeichnung. „Der Kaiserswerther Mühlenturm im Schnee! Wie schön! Ob man das kaufen kann?“ Hannes Esser lächelt geduldig und nickt.

Zum zehnten Mal fand im August 2006 die Aktion Kunstpunkte statt, in der Düsseldorfer Künstler ihre Ateliers für Interessenten öffnen und sich bei der Arbeit über die Schulter schauen lassen. Zum zehnten Mal war auch Hannes Esser dabei. Das Gespräch der beiden Besucher ist so oder so ähnlich jedes Jahr zu hören. Der Künstler freut sich noch immer an der allgemeinen Begeisterung über das pittoreske Atelier, obwohl er die Kommentare einmal gern im Winter hören würde, wenn der Wind durch die Ritzen der riesigen Glastüre pfeift und die dünnen Mauern nicht verbergen können, dass sie früher einmal eine Fabrikhalle umschlossen haben.

Ehemalige Papierfabrik
Jahrelang hat er es nicht verwunden, dass er sein erstes Wittlaerer Zuhause am Talweg an der alten Papiermühle am Schwarzbach, das er eigenhändig aus einer halbzerfallenen Remise in Wohnung und Atelier umgebaut hatte, nach fünfunddreißig Jahren räumen musste, weil der Besitzer auf einmal Eigenbedarf anmeldete. Mit dem Wachsen der Großstadt wurde der bescheidene Stadtteil mit den einfachen Häuschen zum begehrten Wohngebiet, der Wert der Grundstücke stieg sprunghaft, die Maler zogen weg, die alten Häuser wurden renoviert oder gleich abgerissen und durch zum Teil aufwendige Neubauten ersetzt. Hannes Esser ist der einzige Künstler, der sich nicht hat vertreiben lassen. 1992 fand er ein neues Refugium in einer Parallelstraße, Am Mühlenkamp 16, in einem Teil der ehemaligen Papierfabrik, den er wieder in mühevoller Arbeit um- und ausbaute. Nur auf das Errichten eines neuen Brennofens hat er verzichtet, obwohl die Keramik über Jahrzehnte lang einen Schwerpunkt in seinem Schaffen gebildet hat. „Man muss immer bereit sein, etwas Neues anzufangen.“

Diese Bereitschaft hat Hannes Esser sein Leben lang bewiesen. Sein Vater, ein erfolgreicher Bäckermeister in Pempelfort „Am Wehrhahn“ Nr. 74, war entsetzt, als sein Sohn sich nicht dem väterlichen Handwerk, sondern ausgerechnet der brotlosen Kunst widmen wollte. Der Direktor der Düsseldorfer Kunstakademie war Stammkunde im elterlichen Geschäft, dem zeigte die Mutter Skizzen ihres Ältesten. „Der Junge ist begabt, den nehm ich sofort.“ Trotz dieser Erklärung bestand der Vater auf einer soliden Ausbildung. Kaum war die Bäckerlehre beendet, wurde der junge Mann eingezogen. Er hatte sich durch die braunen Jahre laviert, ohne zur HJ zu müssen. Viele Ältere, die wie er in der bündischen Jugend organisiert gewesen waren, verschwanden in der Ulmer Höh. Er weiß bis heute nicht, wieso man nicht auf ihn aufmerksam wurde, besonders weil die Eltern überzeugte Katholiken und Kirchgänger waren. „Ihr schwarzen Schweine!“ hatten Unbekannte mehrfach quer über die Schaufensterscheibe geschrieben. Den Krieg hat der junge Mann bis zum bitteren Ende mitmachen müssen, größtenteils in Russland. Er wurde fünfmal verwundet, zum Schluss durch einen Kopfschuss. Dass er den überstand und dass ihm die erfrorenen Füße nicht abgenommen werden mussten, kam ihm fast wie ein Wunder vor.

Kaum war die Kunstakademie wieder eröffnet, war Hannes Esser einer der ersten Schüler (zusammen mit den damals noch unbekannten Kommilitonen Beuys und Grass) und studierte bei so berühmten Professoren wie Otto Pankok und Werner Heuser Malerei und Freie Graphik. Nach Abschluss des Studiums und einem halbjährigen Aufenthalt in dem legendären Töpferdorf Vallauris an der Cote d’Azur, überwältigt von den Arbeiten Picassos, entschloss sich der junge Maler aus Düsseldorf für etwas Neues, nämlich für die Keramik. 1957 ließ er sich in Wittlaer nieder und baute den ersten Brennofen zusammen mit Günter Uecker, der inzwischen ebenfalls die Kunstakademie absolviert hatte. Nach einem Streit gingen die beiden getrennte Wege. Hannes Esser blieb zunächst beim Ton, fertigte „Kunst im Kaufhaus“, wie er das etwas selbstironisch nennt, schmückte Eingangshallen, Verkaufsräume, Altstadt-Lokale mit farbenfrohen Keramikreliefs, fertigte Brunnen und wuchernde Objekte, die an Urwaldpflanzen oder Korallenbäume denken lassen. Günter Uecker begann mit Papier und Nägeln zu experimentieren und wurde weltberühmt. Bei einem späteren Treffen hat er seinem früheren Kompagnon erklärt, dass er sehr dankbar wäre für das Zerwürfnis, „sonst säß' ich vielleicht immer noch mit dir am Wittlaerer Brennofen.“

Bewundertes Prunkstück
Auch die Arbeit, der Hannes Esser die längste Zeit gewidmet hat, ist aus Ton, nämlich das vielgerühmte Modell des alten Kaiserswerth, das der Künstler mit der Besessenheit und Genauigkeit eines Historikers so getreu dem Vorbild nachempfand, wie das überhaupt nur möglich ist, bis hin zu den Hinterhäusern, den Ställen, den Gärten und Hinterhöfen. Ein gutes Jahr lang dauerte es, bis das Modell schließlich auf seiner 20 qm großen Platte aufgestellt war. Es ist heute das bewunderte Prunkstück des Kaiserswerther Museums.

Die Länder rund um das Mittelmeer hat Hannes Esser immer wieder bereist. Er tauchte bei Hourghada im Roten Meer, als es dort erst ein paar Fischerhütten gab, fuhr per Anhalter durch die Türkei, Syrien, Libanon, Algerien. 1968 ging er für ein halbes Jahr nach Mexiko, wo ein Freund mit Indio-Künstlern eine Töpferwerkstatt gegründet hatte. Die Anregungen aus dieser Zeit sind in den Kacheln zu spüren, die heute die Wände in der Küche schmücken. Die Mitbringsel von den zahllosen Reisen (auch nach Asien) verwandeln heute das verschachtelte Haus am Mühlenkamp in ein Raritätenkabinett, in dem chinesische, dänische und holländische Porzellane, bronzene Buddhas, bizarre Schnecken- und Muschelgehäuse, handbemalte Krüge, Töpfe, Schalen und Teller mit den zahllosen Handwerks-Utensilien des Malers um einen Platz kämpfen. „Ich gehöre zur Rasse der Jäger und Sammler.“ Und zu jedem Mitbringsel gibt es eine Geschichte.

Als sein Brennofen am Talweg während der Umbauarbeiten zerstört wurde, war es wieder Zeit für Hannes Esser, etwas Neues zu beginnen. Er widmete sich der Fotografie. Zahllose stimmungsvolle Fotos aus Kaiserswerth, Wittlaer und Umgebung waren das Ergebnis, die in mehreren Ausstellungen gezeigt wurden. Gerade ist wieder eine Präsentation mit 200 Aufnahmen von Ansichten der alten Diakonie in Vorbereitung. Daneben kam auch die erlernte Kunst, das Malen und Zeichnen, wieder zu ihrem Recht. Porträtzeichnungen der Freunde entstanden, Landschaften in Pastell und Kohle - wohl niemand hat nach Max Clarenbach die Niederungen um Rhein und Schwarzbach so oft festgehalten wie er. In den überquellenden Regalen lagern Mappen mit Tausenden von Zeichnungen aus der engsten Umgebung und aus aller Welt. Sogar drei Bücher sind in den letzten Jahren entstanden: „Heute hier und morgen gestern“, mit einem Brief des alten Kommilitonen Günter Grass als Vorwort, „Ich erinnere mich“ und „Römisches Tagebuch“, alle mit Vignetten des Künstlers versehen, alle auf kostbarem handgeschöpftem Papier, in farbigem Leinenschuber, in der Nora Handpresse von Werner Brenneke gedruckt.

„Lieber Hannes,“, schrieb Günter Grass, „Du hast mich mit Deinem Brief und dem umfangreichen Manuskript überrascht. Gerne bin ich, die Biographie lesend, in meine Düsseldorfer Erinnerungen abgetaucht - eine Zeit, die weit entrückt ist. Und wenn ich gelegentlich nach Düsseldorf komme, gibt es nur Deine Schwester Trude, die mir sozusagen treu geblieben ist und mir unverkennbar auf Veranstaltungen und manchmal danach begegnet. Viele meiner Freunde aus dieser Zeit - Horst Geldmacher, Franz Witte - sind tot, und die uns damals vorbildliche ältere Generation ist auch nicht mehr unter uns. Ludwig Gabriel Schriebe, dem ich 1953 nach Berlin folgte, lebt nicht mehr, und vor einiger Zeit starb Bruno Goller. Deshalb freut es mich umso mehr, Deinen Lebensbericht zu lesen… Ich erinnere mich, lieber Hannes, dass du damals sehr viel fotografiert hast. Erinnerlich sind mir die Fotos, die Du aus Tunesien zurückgebracht hast und die mich zusätzlich reiselustig gemacht haben. Gibt es in Deinen Fotokisten noch Bilder aus den frühen 50er Jahren, auf denen auch ich mich mit den Freunden von damals befinde? Ich wäre Dir dankbar für Kopien, da es mir an Fotos aus dieser Zeit fehlt… Ist es nicht so, dass ich mit Deinem Bruder Jupp, der bei der Steinmetzfirma Moog in die Lehre ging, während meiner Praktikantenzeit gemeinsam Grabsteine bearbeitet habe? Du siehst, Dein Manuskript hilft meiner Erinnerung auf die Sprünge.“

Eine Collage für jedes Lebensjahr
Die mit Illustrierten überladenen Arbeitstische zeigen, dass Hannes Esser sich auch Collagen widmet. Für die große Ausstellung, die ihm das Kaiserswerther Museum zu seinem 80. Geburtstag am 8.4.2000 widmete, hat er für jedes Jahr seines Lebens eine großformatige Collage gestaltet. Auch für die Sonderausstellung „Haltet ein!“ gegen den Irak-Krieg (zusammen mit Berengar Pfahl und Kurt Sandweg) griff er zu buntem Hochglanzpapier, Schere und Kleister. Er findet dieses Arbeiten sehr inspirierend. Sogar von der Fußball-Weltmeisterschaft hat er sich zu Collagen anregen lassen.

Inzwischen ist er ganz zufrieden, dass das Kapitel Keramik abgeschlossen ist. Er ist seit langem so schwer herzleidend, dass die Arbeit mit dem Ton viel zu anstrengend wäre. Selbst für kleinere Wege ist er auf seinen elektrischen Rollstuhl angewiesen. Das hat ihn nicht gehindert, den Schwarzbach von der Quelle bis zur Mündung abzufahren und über diese Fahrt für das Wittlaerer Jahrbuch einen Beitrag zu verfassen - wehmütige Erinnerung an die Zeit, als er mit seinem jetzt unter der Decke hängenden Kanadier die Wildwasser der Alpen, die Donau, den Rhein, den Po befuhr.

„Er lässt sich nicht unterkriegen“, sagt seine Lebensgefährtin Sascha Schejbal. „Und er ist immer für eine Überraschung gut. Wir kennen uns schon seit 1962 und leben seit 1973 zusammen. Und da fragt er mich doch im vorigen Jahr, einfach so zwischen Suppe und Kartoffeln, ob es nicht allmählich Zeit zum Heiraten wäre. Und das haben wir dann tatsächlich getan.“ Sie müssen beide lachen ob dieser verspäteten bürgerlichen Anwandlung.