Heimat-Jahrbuch 2003

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Fotografie mit und ohne Fotografien

Zu den künstlerischen Strategien Bernd Jansens

Bernd Jansen vertritt in der Fotografie eine sehr eigenständige Position. Alles, was er produziert, hat die Fotografie zum Ausgangspunkt, aber nur einen Teil seiner Arbeiten sind Fotografien. Er macht unentwegt Fotos. Er fotografiert eigentlich mit einer Beiläufigkeit, wie andere atmen, laufen oder denken. Aber die schließlich fotografierten (für eine „Ewigkeit“ fixierten) Fotografien sind seit langem vor allem (aber nicht nur) Baustoff und Ausgangspunkt für skulpturale Objekte, hochkomplexe oder verspielte Installationen oder Werkzeuge und Mittel für Performances.
Es kann grauenvoll langweilig sein, „selbstreferentielle Kunst“ zu betrachten. Selbstgesprächen in Privatsprachen fehlt die entscheidende Qualität interessanter Kunst: das Dialogische, Kommunizierbare oder die Fähigkeit, wie Danto es vielleicht ausdrücken würde, neue Weltsichten (nicht Welt-anschauungen) zu erzeugen. Nun sind Bernd Jansens Arbeiten immer Blicke auf die Welt. Aber er thematisiert dabei vor allem die Art und Weise der fotografischen Bildproduktion: Wie „finde“ ich Bilder, kommen die Bilder zu mir, sende ich Bilder aus, wie mache ich mir ein Bild? Diesen Fragen geht Bernd Jansen seit fast dreißig Jahren auf äußerst originelle Weise nach. Und er untersucht dabei nicht nur die Inhalte der Bilder (das natürlich auch und oft sehr hintergründig), sondern auch die Apparaturen, Techniken, optischen und chemischen Hilfsmittel, Sehweisen, Archivierungsmethoden, aber auch den gesellschaftlichen Gebrauch dieses „Verewigungsverfahrens“, der Fotografie.
In seiner künstlerischen Fotografie hat Bernd Jansen eigentlich nie „dokumentarisch“ gearbeitet. Er hat nicht diesen „teilnahmlosen Blick“ , den zum Beispiel die Becherschüler auf so eindruckvolle Weise und digital perfektioniert entwickelt haben. Er hat aber auch nie im Sinne einer Selbstbeobachtung Szenen intimer Subjektivität vorgeführt (wie etwa Nan Goldin oder Wolfgang Tillmans). In seinen Fotografien taucht er zwar oft als Teil einer Szene auf: Doch nicht in einer Art Selbstportrait. Sein Gesicht, seine Hand, sein Fuß weisen ihn als Regisseur und Autor der abgebildeten Szene aus; sie lenken unseren Blick und sind interpretatorische Hilfsmittel. (Brecht hätte das V-Effekt genannt; Bernd Jansen hat dafür eine andere Erklärung: er verweist auf das Reflektorische der Bildproduktion; die „Bilder kommen zurück“).
In seinen Künstlerportraits taucht er zwar nicht sichtbar als Regisseur auf, aber die Situationen sind so prozeßhaft und aktiv wie Theaterszenen angelegt. Die Inszenierung wird so als Kommentar und Interpretation der künstlerischen Aktivitäten und nicht etwa des individuellen Charakters einer Person X erkennbar. Auch hier verzichtet Jansen auf die Illusion des „objektiven“ und „dokumentarischen“ Fotos. Seine Porträts verzichten auf herrschaftliche Posen genauso wie auf die Wahrheitssuche, die Suche nach dem „Wesen“ einer Person. (Was würde man da auch finden?! Musil meint: mindestens zehn Charaktere pro Mensch...)
Mit den „Leerschüssen“ (das waren Arbeiten, die die unvollständigen Filmanfänge als vollständige Bilder auffaßten) entwickelte er eine weitere Strategie der reflexiven Bildproduktion: Er thematisierte das Nicht-gezeigte, das Verborgene. Aber das tat er nicht in diesem aufgeblasen metaphysischen Sinne, in dem nach dem „Zeigen des Unzeigbaren“ gefragt wird (das klingt zwar gut, ist aber ein ziemlich unsinniges Unterfangen oder ein etwas wichtigtuerischer aber falscher Sprachgebrauch), sondern sehr direkt und eindeutig. Die Leerschüsse zeigen schon etwas, aber nur die Hälfte (oder mehr oder weniger) des Erwarteten. Wir erwarten vom Foto das „Ganze“. Das Ganze ist aber nie zu haben. Das Bild zeigt immer nur Etwas. Mehr nicht. Der Ausschnitt, den der Blick durch ein Objektiv freigibt, ist ein Detail, marginal oder bedeutend.
Bernd Jansen entwickelte noch weitere Strategien um diese Entleerungen des Blicks (und die Ergänzungsleistungen unserer Fantasie, unseres Gedächtnisses und unserer privaten und gesellschaftlichen Bilderdepots) sichtbar zu machen. Er traktierte Bilder mechanisch, brannte sie aus, durchschoß sie und durchbohrte sie. Oder er deckte während des Auslösens (Bernd Jansen sagt, daß das Bild lange vor dem Auslösen gemacht wird) mit der Hand bestimmte Partien der Bilder ab. Ob sich das „Rätsel“, was hinter der Hand verborgen ist, auflösen läßt, ob wir nämlich in der Lage sind, aus unseren Bilddepots eine sinnvolle Ergänzung für diese Leerstelle (die ja gar keine ist, da ja die Hand des Fotografen zu sehen ist, wir uns allerdings das Sichtbare als Teil eines „natürlichen“ Kontextes vorstellen, obwohl wir ja ein Bild betrachten und nicht die abgebildete Realität) zu finden, macht den Reiz dieser Strategie des Verbergens aus.
Eine Serie solcher Arbeiten im Format 50 x 60 cm, auf transparentem Filmmaterial belichtet, zeigte Bernd Jansen vom 12.4. bis zum 29.6.2002 in der Galerie Wolfgang Gmyrek in Düsseldorf. Sie hingen mit Klammern an Stahlseilen befestigt frei vor weißen Wänden. Sie simulieren keinen Guckkasten oder Fensterblick auf die „Welt da draußen“, sondern geben uns Rätsel in der Fläche des Bildes auf. Hinter diesen Bildern ist ebenso wenig wie hinter der Hand auf dem Bild verborgen. Der Rückgriff auf unsere Seherfahrungen, unsere Wahrnehmungsgewohnheiten und -Strategien im Umgang mit den realen Dingen macht erst den Reiz aus, den die Lösung solcher Rätsel auf uns ausübt.
Mitte der 80er Jahre begann Bernd Jansen seine Fotografien (übrigens immer im „strengen“ Schwarz/Weiß) aus der Fläche zurückzuholen in den Raum. Er inszenierte im Raum die Realität, auf die das Foto verwies. Das heißt, es entstanden Modelle der abgebildeten Realität und natürlich nicht der spezifische Ort zu einer bestimmten unwiederholbaren Zeit. Unter dem Titel „Materialrückerstattung“ zeigte er diese Arbeiten in der Galerie Wolfgang Gmyrek in Düsseldorf. In diesen Arbeiten werden einige wichtige Quellen seiner Arbeitsmethode deutlicher sichtbar als in seiner Fotografie. Es sind vor allem konzeptionelle Strategien (etwa die von Matta-Clark oder Marcel Broodhaers auf deren Arbeiten er sich ausdrücklich beruft), die ihn interessieren.
Seit etwa sechs Jahren nun produziert er Arbeiten, die nicht mehr ein Foto zum Ausgangspunkt haben, sondern die verschiedenen Stufen des fotografischen Prozesses und vor allem dessen apparative Seite untersuchen. Dabei sind Objekte, Installationen und Aktionen entstanden (so heißt ein Objekt „Auf der Suche nach den Bildern”. Es besteht aus einer Holzdeichsel, vier verglasten Stahlrahmen und einem Zählapparat. Zieht Bernd Jansen durchs Gras oder über Sand usw., entstehen potentiell unendlich viele Bilder. Bei einer anderen Installation dreht sich eine Kamera als Rührwerk in kochendem Tomatensud; eine „Paprikakanone“ erzeugt „scharfe“ Bilder; eine „Einführungskamera“ verweigert endoskopische Blicke; die hochkomplexe „Stillgelegte Anlage“ erzeugt ihr eigenes Licht und erzählt ein ganzes Leben, die Kamera, die den Forschungsreisenden begleitet, enthält bereits das Depot seiner Bilder usw. usw.), die für sich selbst als ästhetischer Betrachtung zugängliche Artefakte (und Performances) rezipierbar sind, die aber gleichzeitig als Speicher subjektiver Geschichten, Erinnerungsmaschinen und Depots funktionieren. Diese neuen Arbeiten sind in radikaler Weise offen: Sie sind vorläufig, sie sind durch den Produzenten und den Rezipienten veränderbar (interaktiv); sie bedürfen der fantasievollen Ergänzung, da sie fotografische Apparate sind, die keine fixierten Bilder liefern.
Bernd Jansen hat aber auch sein technisches Repertoire um Videoproduktionen und die Nutzung digitaler Prozesse erweitert. Alten Fotolehrbücher hat er, indem er aus ihnen eine Kreisfläche ausgefräst hat, in Kameras verwandelt. Diese Kameras haben nun auf verschiedenen Ebenen mit fotografischem Sehen zu tun: Man kann durch ihr „Objektiv“ sehen und die Welt in eine Ansammlung möglicher Bilder verwandeln. Diese Bücher handeln auf der Textebene vom genormten fotografischen Sehen und liefern Bild-Beispiele dafür. Indem Bernd Jansen diese Lehrbücher durchbohrt, verändert er ihre Ästhetik, ihren Inhalt und ihre Funktion. Von diesen Objekten nun hat er Scans machen und die im Format 150 x 200 cm digital belichten lassen. Die Funktionsweise der Bücher hat sich dadurch ein weiteres Mal verändert. Sie haben sich in Bilder mit blinden Flecken verwandelt. Wie im Zentrum unserer Retina, da wo der Sehnerv austritt, haben diese Bücher Leerstellen, die wir mit der Konstruktion von Bildern füllen. (Auch diese Arbeiten waren vom 12.4. bis zum 29.6.2002 in der Galerie Wolfgang Gmyrek in Düsseldorf zu sehen.) Florian Rötzer behauptet, daß die Bedeutung der künstlerischen Fotografie sich umgekehrt proportional zur gesellschaftlichen Bedeutung der Fotografie verhalte. Die Fotografie sei als Informationsmedium marginalisiert. Das mag stimmen oder nicht. Jedenfalls zeigt die künstlerische Fotografie eine äußerst interessante Entwicklung, und es ist kein Zufall, daß sie gegenwärtig im Zentrum der Wahrnehmung von Kunst steht. Man darf auch das gemächliche Tempo der Feuilletons und ihr Stöhnen über die angebliche „Beliebigkeit“ fotografischer Strategien nicht allzu ernst nehmen. Sie haben ja noch mit dem Federkiel geschrieben, als ihre Artikel schon elektronisch gesetzt wurden. (Heute sollen sie ja zeitgemäßer arbeiten.) Jedenfalls formulieren heute maßgeblich fotografierende Künstler, das was zeitgenössische Kunst ist. Und die wichtigsten zeitgenössischen Künstler benutzen zwar viele verschiedene Medien, aber die Fotografie spielt dabei eine hervorgehobene Rolle.
Bernd Jansen beschreitet seit langem einen sehr eigenständigen und interessanten Weg. Einerseits deshalb, weil er die Fotografie skulptural und performativ erweitert. Andererseits, weil er Selbstreferenz nicht als strenge Exerzitien, sondern als interaktives Abenteuer inszeniert und dabei noch Gelegenheit findet zu erzählen. Ironie und Anarchie schließen also keineswegs analytische Klarheit und erzählerischen Reichtum aus. Die seltsame Mischung aus Anarchie und Systematik, aus Verweigerung und Assimilation, die Rohheit und Schmucklosigkeit der Form (keine Farben, weder in der Fotografie noch in der Regel in den Objekten, wenn sie nicht von vorneherein zum Objekt gehört, keine Nachbearbeitung der wesentlichen Parameter seiner Fotografien, rohe Materialien, Stahl, Gummi, Holz, Industrieglas; roher Umgang mit Objektiven und Kameras usw.) auf der einen und die komplexen Untersuchungs- und Erzählmuster auf der anderen Seite machen Jansens Arbeit so ungewöhnlich. Er verweigert sich dem Glatten und dem simplen Bild. Die analytische Leistung und die narrative Fülle „entschädigen“ (will man in dieser Sprache von Gewinn und Verlust die Dinge beschreiben) aber für die notwendige intellektuelle und interaktive Anstrengung bei der Rezeption seiner Arbeiten. Man „gewinnt“ elementare und komplexe Einsichten über die Funktionsweisen des Bildermachens, sowohl in seiner technischen als auch in seiner gesellschaftlichen Dimensionen...

Gerd Genger


Bernd Jansen

Biographie
1945 in Bedburg am Niederrhein geboren

1966-71 Studium der Fotografie an der Folkwangschule in Essen-Werden bei Otto Steinert

1972 Förderpreis zum Heinrich-Heine-Preis der Stadt Düsseldorf

1978/79 New-York-Stipendium der Stadt Düsseldorf (Ernst-Poensgen-Stiftung) P.S.1 Aufenthalt in New York