Heimat-Jahrbuch 2003

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Landwirtschaft und Gastronomie „Im Jäger“

Familie Brockerhoff führte ab 1900 eine lange Tradition fort

Die Eltern von Carl Brockerhoff, Peter und Magdalene, bewirtschafteten einen Pachthof in Lohausen, den sog. Lohauser Hof. Während die Familie Brockerhoff im weitesten Sinn in der Gegend um Kaiserswerth wohnhaft war, stammte die Familie seiner Frau Magdalene Weyergraf von der linksrheinischen Seite in Höhe von Kaiserswerth. Es war ihnen gelungen, für ihre zahlreichen Kinder eine Existenzgrundlage zu schaffen: Hermann Weyergraf bewirtschaftete einen Hof in Düsseldorf- Unterrath. Peter heiratete in eine alt eingesessene Kaiserswerther Familie Sauberg, die dort die Wirtschaft “Zum Einhorn“ besaß. Maria ging die Ehe mit Anton Küpper ein, Landwirt und Pächter verschiedener Gehöfte in Lohausen und Palenberg bei Aachen. Katharina, gen. Trinken, war ebenfalls durch Heirat mit Karl Hundgeburt auf einem Hof in Düsseldorf-Benrath ansässig. Willi, der Jüngste, heiratete in eine Viehzüchterfamilie nach Nordddeutschland, nach Rodenkirchen in Oldenburg. Die jüngste Tochter Agnes blieb auf dem elterlichen Hof und war mit Wilhelm Wilms verheiratet.

Um 1900 übernahmen die beiden bisher unverheirateten Kinder Carl und Magdalene gen. Tante Lenchen nach der Familienchronik Hof und Ländereien „Im Jäger“ aus dem Besitz der Familie Bertram. Das Areal erstreckte sich östlich und westlich der Duisburger Straße, vom jetzigen Verlauf der „U 79“ bis zum Heckenweg und südlich vom Weg zum Haus des Poträtmalers Klemm bis nördlich zur sog. Woesthaus-Wiese (Töllershof). Die Schankwirtschaft mit Garten „Im Jäger“ lag sehr verkehrsgünstig an der Chaussee Düsseldorf-Duisburg und am Beginn der Dorfstraße nach Wittlaer. Vor dem Haus befand sich die Haltestelle Wittlaer der eingleisigen Straßenbahn, der Vorgängerin der späteren D-Bahn. Neben dem Eingang gab es in der vormotorisierten Zeit eine Vorrichtung zum Anbinden von Pferden. Das Haupthaus aus rotem Backstein in niederrheinischem Baustil wurde 1926 durch Anbauten im Hofbereich erweitert. Daran schlossen sich um einen gepflasterten Hof Schlafstätten für die Knechte und Eleven, Pferdestall und Scheune mit Hühner- und Schweinestall an, auf der Gegenseite eine Schmiede, ein kleiner Pferdestall, eine weitere Scheune, die Düngestätte, der Kuhstall, die „Milchküche“ und an der Straße das Wohnhaus für die sog. Schweizer. Die heute unter Denkmalschutz stehenden Bauten sowie das doppelflügelige Eingangstor, flankiert von zwei Steinpfeilern mit aufliegendem Kugeln, sind aus der Entstehungszeit vollständig erhalten. Eine Fuhrwerkswaage mit Wiegehäuschen, das heute entfernt ist, befanden sich links vom Eingang, und ein Prozessionskreuz vom Ende des 18. Jahrhunderts wird bis heute als Station benutzt. Zwei Geräteschuppen und ein großer Obstgarten mit Edelobst lagen in Richtung Heckenweg, dahinter eine geräumige Feldscheune und ein Silo. An der Rückseite der Hofgebäude nach Norden war ein Schuppen angebaut für die Lagerung von Nutz- und Brennholz. Auf der anderen Seite hinter dem Kuhstall befand sich ein groß angelegter Haus- und Gemüsegarten. Auf mit Buchsbaum eingefaßten Beeten und Blumenrabatten wurde das für den Haushalt benötigte Gemüse angebaut. Auf der Seite zum Garten lag eine Garage für die Kutschwagen aus früherer Zeit und eine angebaute Wohnung mit drei Räumen für Arbeiterfamilien, die zeitweise auf dem Hof mithalfen.

Im Anschluß an den Gemüsegarten wurde ein als Alterssitz der Eltern Brockerhoff vorgesehenes Haus gebaut, in das sie allerdings wegen des frühen Todes eines Elternteiles nicht einzogen. Nach der Heirat von Carl Brockerhoff mit Martha Bieger aus Duisburg-Mündelheim im Oktober 1910 zog die Schwester, die bis dahin den Haushalt des Junggesellen geführt hatte, dorthin. Da ihr als alleinstehender Person dieses Haus zu groß erschien, baute sie sich das daneben liegende kleinere, später von der aus Duisburg stammenden Familie Theo Noble bewohnt. Sie selbst lebte dort bis zu ihrem Tod im Jahr 1915.

Neben der Landwirtschaft hatte sich Carl Brockerhoff zunächst bemüht, Mittel zu erwirtschaften, um den Bauernhof in seinen Besitz zu bringen. Er legte sich verschiedene Fahrzeuge zu und unterhielt einen Fuhrbetrieb für den Transport von Materialien und Pflastersteinen für die Befestigung der Landstraße Düsseldorf-Duisburg. Die Haupteinkünfte wurden durch Anbau von Getreide und Zuckerrüben erbracht. Die andere Ausrichtung des Betriebs war die intensive Milchwirtschaft. Er unterhielt einen sog. Abmelkstall zur täglichen Lieferung von kontrollierter Qualitätsmilch an den Düsseldorfer Milchhof. Zusammen mit Jungvieh, das er übrigens über seinen Bruder aus Oldenburg kaufte und das mit Güterwagons zum Bahnhof Kalkum transportiert wurde, besaß er ca. 50 Tiere in den Stallungen und auf Wiesen. Zur Unterstützung des Betriebs hatte Carl Brockerhoff regelmäßig Eleven, die die Landwirtschaft erlernen wollten und Verwalter, die ihn in der Kontrolle unterstützten.

Die Schankwirtschaft war eine weitere Existenzgrundlage, die aber schon immer mit dem Anwesen verbunden war. Im Schankraum mit der Theke trafen sich Kutscher, Lastwagenführer und Chauffeure, die zum Teil ihr Frühstück oder Mittagessen einnahmen. Die Wirtschaft war ebenso Treffpunkt des Stammtisches, bei dem sich bestimmte, im Laufe der Zeit wechselnde Gäste trafen, auch um Skat zu spielen. Da es in den frühen 20er Jahren weder Radio noch Lautsprcher gab, erinnere ich mich, wie mein Vater, Carl Brockerhoff, den Alleinunterhalter Herrn Buschhausen aus Düsseldorf engagiert hatte. Er sang in der Karnevalszeit all die bekannten volkstümlichen Lieder und begleitete sich dabei am Klavier, auch zur Erbauung der örtlichen Vereine, die in den daneben liegenden Gesellschafträumen tagten: Schützenvereine, Feuerwehr und Kirchenchor hielten ihre Veranstaltungen im Wechsel mit Schmitz-Lökes und Brand's Jupp hier ab. Höhepunkte im Verlauf des Jahres waren die Spätkirmes im Herbst zu Ehren des Pfarrpatrons St. Remigius und vor allem das große Schützenfest der St.-Sebastianus-Bruderschaft im Sommer unter anderem auf der Wiese gegenüber der Wirtschaft in großen Festzelten.

Die Erziehung der Kinder und die gesamte Organisation des Haushaltes oblag Martha Brockerhoff, geb. Bieger. Sie stammte aus einer Schnapsbrennerei und Landwirtschaft aus Duisburg-Mündelheim. Gleich nach ihrer Internatszeit in der St.-Anna-Schule in Düsseldorf hatte sie mit 18 Jahren den 17 Jahre älteren Carl Brockerhoff geheiratet und wurde damit gleich in die Verantwortung genommen. Es ging um die Zubereitung der täglichen Mahlzeiten für die Familie und für die auf dem Hof Tätigen einschließlich der Vorratswirtschaft und der Zubereitung der Speisen und Getränke für die Wirtschaft. Sie wurde unterstützt durch Personal wie Küchenhilfen, Haus- und Kindermädchen. Einmal im Jahr war eine Näherin damit beschäftigt, die Haushaltswäsche und die Garderobe der Familie auf den neuesten Stand zu bringen.

Zu erwähnen wären noch die schwierigen Jahre um 1920 während der französischen Besatzung. Im Kinderzimmer des Haupthauses wurde eine Arztpraxis provisorisch eingerichtet und die großen Gasträume der Wirtschaft in ein Lazarett umgewandelt. Die Ställe und freien Plätze im Hof belegten die Soldaten mit ihren Pferden. Zur gleichen Zeit hatte sich die Ruhr-Epidemie zwischen Düsseldorf und Duisburg ausgebreitet und hatte nicht nur die Besatzung, sondern auch die Bevölkerung erfaßt.

Schon seit seiner Junggesellenzeit war Carl Brockerhoff vielseitig interessiert und reisefreudig. Er besuchte regelmäßig die großen wirtschaftlichen Ausstellungen wie die „Gesolei“ (Gesundheit-Soziales-Leibesübungen) in Düsseldorf 1926 und unternahm mit einigen Freunden Reisen, unter anderem nach Helgoland. Die Hochzeitsreise mit seiner Frau Martha führte ihn über Straßburg durch die Schweiz an den Vierwaldstädter See nach Oberitalien, Como und Lugano und endete auf dem Münchner Oktoberfest. 1926 gehörte er zusammen mit seiner Frau zu den ersten Passagieren der neu eröffneten und von den Besatzungsmächten freigegebenen Fluglinie Düsseldorf-Hamburg. Er nutzte eine Reise nach Norddeutschland zur Besichtigung der „Bremen“, des damals größten deutschen Passagierdampfers, der in Bremerhafen vor Anker lag. Bei dieser Gelegenheit besichtigte er auf diesem Schiff den von dem Wittlaerer Maler Prof. Max Clarenbach ausgestalteten Speisesaal. Er war mit Leidenschaft Jäger und jagte regelmäßig im Westerwald, in der Eifel und im Hunsrück. Im Odenwald hatte er mit Jagdfreund Peter Röskes aus Angermund und Herrn Woesthaus aus Wittlaer saisonweise das Jagdrecht auf Wildschweine und Rotwild gepachtet. Zusammen mit den Ehefrauen sollen sie herrliche Tage in der dortigen Jagdhütte verbracht haben. Auch Wittlaer mit seinen umliegenden Feldern und Waldzonen war als Jagdrevier ausgewiesen. Ãœber die Gemeinde konnte man das Jagdrecht für die große Treibjagd im Herbst auf Rebhühner, Fasane und Feldhühner erwerben. Die Beute wurde anschließend auf einem Wagen mit Gestell aufgehängt und zur Schau gestellt, während die Jäger sich zum „Schüsseltreiben“, einem abschließenden geselligen Abendessen, im Gasthaus „Im Jäger“ zusammenfanden. Manche seiner Jagdtrophäen schmückten die Gasträume.

Nach den Anstrengungen der Erntezeit gab es in der Regel eine Belohnung in Form einer kleinen Reise mit der Familie, den Eltern und den vier Kindern Martha, Gertrud, Käthe und Karl. Für die Autofahrten stand ein komfortabler Mietwagen aus Kaiserswerth mit Chauffeur namens „Bubi“ zur Verfügung. Ziele waren bekannte Ausflugsorte an der Ahr oder im Siebengebirge. Ein Ritt zum Drachenfels auf Eselsrücken durfte dabei nicht fehlen. Eine Aufnahme von diesem Ausflug trug Carl Brockerhoff als Erinnerung in seiner Brieftasche. Sie wurde der kuriose Ausgangspunkt und Anlaß für einen Auftrag in schlechter Zeit für einen der Düsseldorfer Maler, die sich regelmäßig bei Brand’s Jupp trafen. Carl Brockerhoff beauftragte den Portraitmaler Kapellmann, der bereits die Großeltern gemalt hatte, nach dem Foto ein Gemälde von der ganzen Familie anzufertigen. Für uns Kinder war es eine spannende Angelegenheit, mehrfach nach Düsseldorf zu fahren und im Atelier Modell zu stehen. Das Gemälde entstand um 1925.

Nach dem frühen Tod ihres Mannes 1937 hatte Martha Brockerhoff vorgesehen, ihren einzigen Sohn Karl als Erben des Hofes einzusetzen. Er konnte die landwirtschaftliche Winterschule in Ratingen nur kurz besuchen, denn er wurde zum Arbeitsdienst und zum Militär eingezogen und ist seit den Kämpfen im Osten vermißt.

Im Rückblick stelle ich fest, daß meine Geschwister und ich trotz der schwierigen Weltläufte wie Weltkrieg, Inflation, Besatzung und Naziregime eine unbeschwerte und glückliche Kindheit durchlebten und daß der Hof und seine Umgebung für mich immer Heimat bedeutete, nicht zuletzt auch, weil meine Eltern neben ihrer Verantwortung und der Aufrechterhaltung der Existenz von Landwirtschaft und Gastronomie sehr weltaufgeschlossen waren und viel Sinn für Tradition und Kultur hatten.

Martha Noble, geb. Brockerhoff