Heimat-Jahrbuch 2004

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Musik liegt in der Luft zwischen Wittlaer und Rom
Der Kirchenchor St. Cäcilia Wittlaer feierte sein 130jähriges Bestehen
Von Karin Wellschmiedt

Anno Domini 2002 - für unseren Kirchenchor ein Jahr voller Musik, voll Harmonie und viel, viel Arbeit. Und der Grund für diese Jubelei? Es ist das biblische Alter von 130 Jahren, denn sooo lange gibt es schon den kirchlichen Gesangsverein Sancta Cäcilia an St. Remigius in Wittlaer. Genau wie im richtigen, individuellen Leben gibt es auch für einen Chor-Organismus gute Zeiten, schlechte Zeiten - Zeiten der Fülle und Zeiten der Dürre. Es sieht so aus, als ob wir gerade jetzt im Jubiläumsjahr durchaus im zunehmenden Mond stehen: 32 Aktivisten sind wir, und 52 unserer Arbeit zugeneigte passive Mitglieder leben in unserer unmittelbaren Umgebung. Wenn wir den zahlreichen Komplimenten zu unserem Chorgesang bei Festmessen und anderen festlichen Gelegenheiten glauben dürfen, dann macht es offenbar vielen Menschen große Freude uns zuzuhören. Das hebt die Stimmung manchmal im wortwörtlichen Sinn.

Das Jubeljahr begann am 12. Januar mit einer Dankmesse und anschließendem, geselligen Rundgesang zum 70. Geburtstag unseres Chorvorsitzenden Heinz Hümbs. Die Pastoralmesse von Ignaz Reimann (1820-1885) sollte der Schlager des Jahres werden - da fühlten wir am eigenen Leibe die Wahrheit des hl. Augustinus: Wer singt, betet doppelt. Osternacht und Pfingstsonntag - wie jedes Jahr die klassischen Gelegenheiten für einen Kirchenchor zum Jubilieren. Anfang Juni fand in unserer Gemeinde ein ganz besonderes Fest statt. Ein junger Mann aus Wittlaer feierte hier seine Primiz. Also sangen wir Halleluja aus voller Kehle - nicht nur die ältere Messen-Literatur, sondern auch fetzige 4stimmige Sätze aus den „Neuen geistlichen Gesängen“.

Gleich zu Beginn des nächsten Monats, am 3. Juli, gab es ein Potpourri von fromm bis frech, von laut bis leise - zu Ehren des 50. Geburtstags der lieben Chorschwester Elisabeth Reiss, das Ganze bei strömendem Regen unter den Plastikplanen des Gasthauses Schwenke, genannt das Arschlöcksen. Die Sensation des Abends war das gemeinsame Spiel auf einem Akkordeon von Maestro und Chorbruder Hans: Maestro spielte hochkant Klavier und Hans verschaffte ihm durch beständiges Ziehen und Drücken die dafür nötige Puste.

Kaum waren die Chorferien vorbei, jagte schon wieder ein Fest das nächste - der 75. Geburtstag unserer dichtenden Chorschwester Hanni Jansen wuchs sich zu einem Open-air Konzert aus, ein paar Wunschlieder von ihr, ein paar Geschenklieder von uns und ein paar Zugaben, weil der Platz am hohen Rheinufer so animierend war. Kurz darauf starteten wir nach Kloster Marienstatt im Westerwald zum 1. Chorwochenende in der Geschichte von Sancta Cäcilia an St. Remigius. Zwei Tage lang Probe von morgens bis abends - nur unterbrochen durch vergnügte Mahlzeiten und einen Waldspaziergang nach dem Mittagessen. Für die mögliche Abendbelustigung am Samstag hatten wir vorsorglich kleine Volksliederbücher mit dem sinnigen Titel „Mein Heimatland“ mitgenommen. Zwei Chorbrüder begleiteten uns auf einer Western- und einer klassischen Gitarre. Da gab es denn kein Halten mehr - bis Mitternacht hatten wir die Bücher sozusagen „durch“, von der „Tante aus Marokko, hipp, hopp“ bis zu allen sieben Strophen von „Der Mond ist aufgegangen“. Die Älteren unter uns waren happy, wie viele Lieder und wie viele Texte wir noch auswendig konnten.

Wofür nun aber diese intensive Probenarbeit? Das Hauptereignis des Jubiläumsjahres sollte eine Konzertreise nach Rom sein. Vom 12. bis 18. Oktober musica sacra in Roma aeterna, zusammen mit dem Angermunder St. Agnes Chor, verbunden durch unseren gemeinsamen Organisten und Chorleiter Heinz-Jacob Spelmans. Da stand uns Einiges bevor: ein Chorkonzert in St. Ignazio, die musikalische Gestaltung einer Messe in Santa Maria Maggiore, evtl. eine Frühmesse mit Gesang im Campo Santo Teutonico mit Kardinal Ratzinger und die Papstaudienz auf dem Petersplatz. Üben, üben, üben war nun angesagt, Doppelproben jede Woche, einmal mit, einmal ohne die Angermunder Sänger. Plötzlich waren wir fast doppelt so viele wie sonst - glücklicherweise gab es keine Verständigungsprobleme mit unserm Maestro, der ja seit Jahren mit beiden Chören musiziert; aber würden in so kurzer Zeit die Menschen und die Stimmen harmonisch zueinander finden?

Unüberhörbar „ja“, denn schon unsere Sponti-Aktion am ersten Abend in Rom gegen 21.00 Uhr beim Obelisken auf dem Petersplatz lockte viele Zuhörer an. Jäh wurden wir allerdings beim 2. Vers von einem Carabiniere verscheucht. Finito! - so spät dürfe man öffentlich und unter den Papstgemächern nicht mehr den „Herrn der Welt loben und preisen“. Beim Morgenkonzert oben an der Spanischen Treppe hätten wir von den umstehenden Zuhörern sicher eine Menge Münzen in den Hut sammeln können, und im Pantheon ließen die Bauarbeiter in der Kuppel gleich bei den ersten Tönen ihre Werkzeuge ruhen, um der Distler-Motette „Lobet den Herren“ und dem romantischen „Ännchen von Tharau“ (4stimmig gesetzt von Spelmans) andächtig lauschen zu können.

Die Kirche von St. Ignazio, das Zentrum geistlicher Musik in Rom, beeindruckte uns sehr durch die Größe und Pracht ihres Innenraumes. Das war schon eine andere Kategorie als St. Remigius oder St. Agnes. Wir waren rechtzeitig genug da zum Eingewöhnen und Einsingen - der weite Raum wirkte zwar Respekt einflößend, andererseits aber auch anregend und beflügelnd. Die Probe mit dem römischen Organisten und unserem Maestro verlief zunächst weltlich mehrsprachig, musikalisch aber dann erstaunlich schnell einstimmig. Sie gelang gerade so gut, wie eine Generalprobe eben sein darf, ohne die Aufführung zu gefährden. Und dann die spannenden 30 Minuten vor Konzertbeginn in einem abgelegenen Raum mit improvisierten Sitzgelegenheiten. Pünktlich die Aufstellung, richtige Reihenfolge beachten, Noten griffbereit geordnet - los. Einmarsch durch den Mittelgang bei festlicher Beleuchtung - tatsächlich, es waren Zuhörer gekommen! Am Ende unseres Konzerts mit Musik des Barock, der Romantik und des 20. Jahrhunderts klatschten die reichlich 400 Besucher begeistert Beifall. Unser Chef war auch mit uns zufrieden. Wir waren glücklich vom Singen und ein bisschen stolz, dieses Abenteuer bestanden zu haben. Das festliche Abendessen mit Pasta und Vino rosso im Restaurant gegenüber der Kirche war ein wirklich schöner und entspannender Ausklang dieses Abends.

Da wir eigentlich immer und überall, wo wir gingen und standen, in Rom sangen, ließen wir auch im Petersdom während der Besichtigung die Jubelfanfare „Preiset froh den König“ erschallen. Der zweite Vers wurde durch ein ein energisches „basta!“ leider abgeschnitten - wir hätten uns nämlich vorher ordentlich anmelden müssen! In unserer Hauskapelle im „Casa Bonus Pastor“ dagegen durften wir in der Frühmesse um 7.30 Uhr unbegrenzt - trotz grauslicher Akustik - aus allen Notenbüchern singen. Als sensationell ging der 15. Oktober in die Chor-Annalen ein, denn an diesem Tage waren acht Tenöre anwesend und disponiert für ihre Partie! Tenöre sind die „Herren“ unter den Sängern, und in den meisten Chören nur in eher homöopathischer Menge vertreten.

Der wohl ungewöhnlichste Ort zum Singen und Beten war die Domitilla-Katakombe, wo Prof. Waldenfels mit uns die hl. Messe feierte. Dreißig Meter unter der Erde im Halbdunkel um den Altar stehend, bekam der vertraute Messkanon eine ganz andere, neue Intensität. Der Geruch und die Empfindung von Erde unter, neben und über uns; dazu die Vorstellung, dass schon vor nahezu 2000 Jahren Menschen hier gebetet und das Evangelium gehört haben - das alles klang mit in unserem Singen. Am letzten Nachmittag in Rom machten wir eine Busfahrt über Land. In Castell Gandolfo Halt zum Besichtigen und Spazierengehen, aber vorher noch ein „Moment musical“ in der kleinen, aufgetreppten, wie eine dunkle Berghöhle anmutenden Kirche Santo Tomaso. Samtig klang das Spiritual „Kumbaya My Lord“ in dem kurvenreichen Barock-Interieur. Unser Maestro entfernte sich dirigierend immer weiter von uns, bis er genau mit dem letzten Ton durch die Kirchentür unseren Augen entschwand. Draußen im hellen Sonnenlicht hatte er dann zwei Begegnungen ganz besonderer Art - eine blinde Frau kam gerade mit ihrer deutschen Reisegruppe von der Besichtigung der Kirche und bedankte sich nun unter Tränen dafür, dass sich ihr durch den Chorgesang die Qualität des Raumes auf ganz wunderbare Weise erschlossen hätte. Ein anderer Mitreisender jener Gruppe - seines Zeichens auch Chorleiter - äußerte sich begeistert über den 4stimmigen Chorsatz, den er schon seit vielen Jahren vergeblich gesucht hatte. Telefax sei Dank, bekam er von Herrn Spelmans das Gesuchte gleich nach unserer Rückkehr zugeschickt.

Ziel und Abschluss der Busfahrt war die Einladung des Grafen Moncada auf sein Schloss. Aperitif auf der Schlossterrasse mit Blick in die weite italienische Landschaft „in der Dämm'rung Hülle“, anschließend Weinprobe und rustikales Abendessen mit reichlich vino bianco di tavola. Natürlich bekam der Graf ein gebührendes Ständchen, später noch ein Privatissime der 3 Tenöre mit „Wachet auf, ruft uns die Stimme“ in seiner kleinen privaten Schlosskapelle. Nach dem Essen entspann sich ein vergnügtes Musik-Ping-Pong; jede Chorgruppe schlug wechselweise ein Lied aus unserem „Liederbuch zur Romreis“ (im Taschenformat!) vor, womit wir alle Textprobleme locker bewältigten. Anschließend wünschte sich der Herr Professor die „Loreley“ von der wir ohne Noten, ohne Text allerdings nur die „starke Melodei“ überzeugend interpretierten. Tags darauf ging unsere Italien-Reise zu Ende. Glücklich und erfüllt von Musik und dem unvergleichlichen römischen Licht landeten wir schließlich mitten in der Nacht zu Hause - römische Flugpläne sind zu jeder Jahreszeit überraschend!

Sogleich bereiteten wir Anfang November ein „Rom-Konzert“ für die Daheimgebliebenen vor. In der Vorabendmesse sangen wir in der Wittlaerer Kirche ein Medley der offiziellen Rom-Programme. Anschließend war „Familientreffen“ im Pfarrheim bei Speis und Trank und 100 000 Fotos. Die „Chorgemeinschaft Spelmans“ - wie wir erstmalig bei der Papstaudienz benannt und dann im Osservatore Romano schwarz auf weiß abgedruckt wurden - feierte Wiedersehen nach drei Wochen heimatlichem Alltag. Dank war zu sagen für die musikalische Vorbereitung und Leitung, für die geistliche Begleitung, für die organisatorische Vorarbeit mit dem Reiseunternehmen, für die Herstellung des maßgeschneiderten Rom-Liederbuches und überhaupt rundum für good will, für unermüdliches Stehvermögen, gute Laune und friedliebende Gemeinsamkeit.

Noch nicht genug gefeiert im Jubiläumsjahr: Mitte November ging das alljährliche Cäcilienfest, diesmal mit besonders großem Musik- und Spaßprogramm und der Rekordzahl von ca. 100 Gästen über die Bühne. Eine Woche später in der Messe zu Ehren der hl. Cäcilia erklang noch einmal und in voller Länge die Pastoralmesse von Ignaz Reimann, diesmal aber erstmalig mit Orchesterbegleitung. Vier Musiker der Folkwang Hochschule (Essen) musizierten mit uns. Das war auch ein Geschenk für unseren Wittlaerer Chor. Die uns nun schon ziemlich vertraute Musik klang wie neu, da musste einfach jeder einzelne Chorist das Beste geben! In der Christmette hatten wir noch einmal das Vergnügen mit Streichquartett-Begleitung (wieder mit Folkwang-Hochschulstudenten) - es soll ein bisschen wie Engelsgesang geklungen haben.

Was für ein wundervolles, langes, erlebnisreiches, gesegnetes Jahr 2002! Wir alle - Sänger wie Zuhörer - sind die Beschenkten, und dankbar sind wir auch alle miteinander für diese Fülle von Musik. Singen macht glücklich, liebe Leserin, lieber Leser. Kommen Sie zu uns und erleben Sie von Kopf bis Fuß, wie schön das ist. Wer sich die Musik erkiest, hat ein himmlisch Gut gewonnen, denn ihr erster Ursprung ist von dem Himmel her gekommen, weil die lieben Engelein, die lieben Engelein selber Musikanten sein. (Martin Luther)