Heimat-Jahrbuch 2005

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Weite Reisen nie vermisst
Ausflüge in die Umgebung als Ferienhöhepunkte
Von Katharina Resch

Es ist Juli. Im Fernsehen häufen sich die Nachrichten über kilometerlange Staus auf den Autobahnen, besonders an den Wochenenden. Gezeigt werden auch jede Menge Reiselustige an den Flughäfen. Wehe, wenn sich dann eine Maschine verspätet oder sogar ausfällt. Dann herrscht das große Chaos. Es sind Ferien, es ist Hauptreisezeit. Jeder muss erst solche Hürden überwinden, bis er an sein ersehntes Ziel gelangt. Meist ist es dann – leider - auf dem Heimweg auch nicht viel besser. Glück für jeden, der zu anderen Zeiten in den Urlaub reisen kann! Früher, in den fünfziger und sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, als ich Kind war, war das Reisen noch nicht so selbstverständlich. Wenn man reiste, dann nur in näher gelegene Regionen wie z.B. ins Sauerland, Bergische Land oder in die Weinregionen an Rhein und Mosel. Nur vereinzelt fuhren Feriengäste nach Bayern oder Österreich, bis später Italien für viele Deutsche die Traumreise schlechthin wurde.

Wir Kinder hier auf dem Land vermissten keine Reisen. Wir hatten uns selber und bei gutem Wetter, das es in meiner Erinnerung in den Ferien fast ausschließlich gab, spielten wir im Freien. Sehr beliebt waren Völkerball oder Treffball auf dem Weg zum Töllershof. Der war damals nicht geteert und schon gar nicht gepflastert wie heute. Der einfache Erdboden gab uns die Gelegenheit, mit Stöcken oder der Hacke, gemeint waren hier die Schuhabsätze an der Ferse, die Spielfelder aufzuzeichnen. Da es zu dieser Zeit am Ende des Weges nur den Töllershof gab und rechts und links der Zufahrt nur eingezäunte Weiden lagen, konnten wir ohne große „Störungen“ durch Fahrzeuge spielen. Waren mal nur wenige Kinder da, wurde mit Dötzen bzw. Knickern gespielt. Üblich waren kleine bunte Gipskugeln. Vereinzelt brachten aber Kinder schon Glaskugeln mit, die mit bunten Farben durchzogen waren. Wir strengten uns dann ganz besonders an, denn wer siegte, dem gehörten alle im Loch angekommenen Dötze, auch die aus Glas. Weitere Spiele waren „Kästchenhüpfen“ wie z.B. „Himmel und Hölle“ oder Ballspiele an der Wand. Mit zwei oder drei Bällen versuchten wir gleichzeitig zu jonglieren. Das Stelzenlaufen machte großen Spaß und verlangte viel Balancegeschick. Wer keine Holzstelzen hatte, der bastelte sich welche aus Konservendosen und Kordel.

Meine Freundin Roswitha und ich hatten dann die Idee, ein wenig Geld zu verdienen. Wir pflückten eifrig Gänseblümchen, Butterblumen, Gräser usw. und banden kleine Sträuße zusammen. Aus meinem Puppentisch wurde ein Miniblumenstand und wir verkauften die Gebinde je nach Größe zwischen zwei und fünf Pfennig. Wenn dann eine der Lehrerinnen oder Mütter unserer Spielkameradinnen bei uns kauften, taten sie es sicher, weil sie ein gutes Herz hatten, oder vielleicht, weil sie unseren frühen Unternehmergeist unterstützen wollten, denn Blumen hatten sie ja alle in ihren Gärten. Wenn wir dann am Abend jeder einen Groschen hatten, waren wir stolz, denn Taschengeld kannten wir noch nicht. Die restlichen Blumen wurden entsorgt, denn unsere Kunden hatten ja am nächsten Tag wieder Anspruch auf ganz frische Ware.

Ferienhöhepunkte in unserer Familie waren aber eindeutig die Tagesfahrten, die unsere Großmutter mit uns Enkeln unternahm. Meine Mutter stand ihr stets zur Seite, denn die Großmutter konnte nur sehr schlecht laufen. Da gab es dann die Schiffstour mit dem Köln-Düsseldorfer-Raddampfer, der damals auch noch in Kaiserswerth anlegte und bis nach Königswinter fuhr. Zu all unseren Ausflügen nahm unsere Großmutter einen edlen weißen Karton mit. Dieser war gefüllt mit köstlichen „Bütterchen“, kleine Butterbrote aus Weißbrot mit Schinken oder Käse belegt. Der Karton war gut mit Kordel verschnürt und es war immer meine Aufgabe, ihn sorgfältig an der Kordelschlaufe zu tragen. Auf dem Schiff nahmen unsere Großmutter und meine Mutter im Salon Platz. Wir Kinder hatten ja gar keine Zeit, uns zu setzen. Was gab es nicht alles auf solch einem Schiff zu sehen? Vor allem die auf Hochglanz polierten Kolben im Maschinenraum, die man durch die meist hochgestellten Fenster von oben beobachten konnte. Wir liefen treppauf und treppab von Deck zu Deck, waren mal hinten, mal vorne auf dem Schiff. Wie spannend waren erst die An- und Ablegemanöver. Mit Schwung wurde das dicke Schiffstau dem Matrosen am Landesteg zugeworfen und die Passagierbrücke übergeschoben, damit die vielen Menschen, die jeweils das Schiff verließen und wieder neu bestiegen, einen sicheren Weg hatten. In Köln wurden immer die Lebensmittel in Kästen und die Getränke für Küche und Bewirtung an Bord gebracht.

Auf dem Drachenfels
Irgendwann öffnete dann auch das Andenkenlädchen auf dem Dampfer. Da gab es dann schöne klappbare Landkarten vom Verlauf des Rheines und der Sehenswürdigkeiten an seinen Ufern, den Kölner Dom in vielen Größen, Kästchen mit Muscheln beklebt, Postkarten, auf denen der abgebildete Rucksack aufgeklappt werden konnte und heraus kam eine Ziehharmonika von kleinen Fotos der Orte, die das Schiff passierte. Uns hatten es die bunten Anstecker angetan. Damals waren Filzkappen, aufgeteilt in vier bunte Felder, sehr in Mode. Kleine Plastikanstecknadeln an der Kappe angebracht, kündeten von den Orten, die ihre Träger besucht hatten. Mir hatte es einmal eine weiße Möwe mit ausgebreiteten Flügeln, dem Namen des Schiffes - und das war das Größte –, mit einem echten Rheinkiesel im Schnabel, sehr angetan. Wenn wir dann zwischendurch Hunger hatten, wurde für uns besagter Karton geöffnet und Limonade bestellt. Großmutter und Mutter aßen natürlich nach Karte. In Königswinter stiegen wir alle aus. Die Großmutter setzte sich in eines der Restaurants an der Uferpromenade und meine Mutter eilte mit uns Kindern zur Drachenfelsbahn. Die Zeit bis zur Rückfahrt war meistens kurz, da das Schiff den Rhein aufwärts die fahrplanmäßigen Zeiten nicht eingehalten hatte. Oben auf dem Drachenfels stiegen wir aus der Zahnradbahn und kletterten bis zur Ruine hoch. Nach kurzem Rundumblick ging es wieder talwärts mit der Bahn, die Großmutter wurde abgeholt und wir reihten uns am Schiffsableger in die Warteschlange ein. Und wer jetzt glaubt, uns sei es auf der Rückfahrt langweilig geworden, der irrt. Alles war ebenso spannend und interessant wie auf der Hinfahrt.

Die zweite Tagesreise führte uns alle in die Gruga nach Essen. Wir benutzten den Bus, der früher von Krefeld über Wittlaer nach Essen fuhr, und stiegen mit Großmutter, Mutter und meist fünf Enkelkindern an der Haltestelle, heute Feuerwehrhaus, ein. Ich vertrug das Busfahren überhaupt nicht. In Essen angelangt, war es mir immer „speiübel“, und ich brauchte dann erst eine kurze Zeit, um mich an der frischen Luft zu erholen. Dazu hatte ich ja genügend Gelegenheit. Am Eingang zu dem Blumengelände kauften wir einen Lageplan und brachten unsere Großmutter in das Restaurant „Blumenhof“. Von einem Fensterplatz aus verfolgte sie das bunte Treiben. Wir aber hatten mit dem Plan in der Hand „freien Lauf“. Neben der Dahlienarena, dem Rosen- und dem Kräutergarten gab es auch für uns Kinder viel Sehens- und Erlebenswertes, wie Spielplätze, Gewächshäuser, Wasserbassins mit riesigen Seerosenblättern oder ein kleiner Tierzoo. Zwei Dinge waren für uns ganz besondere Hits: eine Fahrt mit der kleinen Grugaeisenbahn über das ganze Gelände und die Milchbar. Letzteres war eine absolute Neuheit. Auch hier trat der bereits beschriebene weiße Karton in Aktion. So schmausten wir zu Erdbeer- oder Bananenmilch Großmutters leckere Bütterchen. Hier auf dem großen Gelände verging so ein Tag wie im Flug. Nicht ohne auch hier einen Erinnerungsanstecker in Form einer Margerite oder dem Aussichtsturm für die Kappe gekauft zu haben, gingen wir zur Busstation. Seltsam war nur, dass es mir bei der Rückfahrt nie übel wurde. Viele Jahre später haben wir auch mit unseren Kindern diesen Ausflug unternommen, weil es mir selber damals so gut gefallen hat.

Wenn es aber einmal nicht genügend Zeit für eine Tagestour gab, war ein Nachmittagsausflug an der Reihe. Dann fuhren wir mit der Taxe zum Flughafen Lohausen und setzten uns in das Gartenrestaurant, direkt an der Rollbahn gelegen. Von hier aus konnten wir die Landung und Ankunft wie auch Abfahrt und Start der zwei- oder viermotorigen Propeller-Maschinen hautnah erleben. Die Flieger kamen in großen Zeitabständen. Hohe Rolltreppen wurden zu den Flugzeugen gefahren, die die Passagiere herabsteigen mussten. Auf dem Rollfeld folgten sie den hübschen Stewardessen in ihren kleidsamen Uniformen in das Flughafengebäude, das, wenn man an die heutigen Bauten denkt, nur ein kleines Gebäude war. Eine solche Nähe des Erlebens, wie wir es zu damaliger Zeit hatten, gibt es heute natürlich auf keinem Großflughafen mehr. Wenn wir wieder einmal im Urlaub zum Chiemsee fahren, besuchen wir jedes Mal den Segelflugplatz in Unterwössen. Dort gibt es einen kleinen Kontrollturm und Hangars für die Motor- und Segelflugzeuge und natürlich einen Gastgarten nahe am Geschehen, wie früher in Lohausen. Dann gehen meine Gedanken zurück an die schönen Ausflüge mit unserer Großmutter in den Ferien. Eine weite Reise haben wir in dieser Zeit nie vermisst.

Katharina Resch