Heimat-Jahrbuch 2006

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Getünchte Backsteinhäuser als Attraktion
Das saubere Bild einer Wohnart am Niederrhein – Ein Ausflug von Düsseldorf nach Kaiserswerth vor 100 Jahren
Von Wilhelm Schäfer

Nach Kaiserswerth fährt man noch immer mit dem Schiff; es liegt auch heute dicht am Rhein, doch nicht mehr mitten drin wie einst als Werth, will sagen Insel. Das danken wir dem Grafen Adolf III. von Berg, der 1215 die Stadt belagernd durch einen Damm den einen Rheinarm abschnitt, und so die trotzige Insel sanft ans Ufer legte, wo sie seitdem gefügig liegt. Von der Kaiserpfalz, wo Anno, Erzbischof von Köln, den jungen Kaiser Heinrich IV. raubte, steht nicht mehr viel; und was wir heute sehen, verdanken wir zum Teil einer weitgetriebenen Denkmalspflege; doch macht man gern die kurze Schifffahrt von Düsseldorf dahin, um den Genuss der Fahrt, nicht um das Ziel.

Am schönsten an einem Sommertag mit hellem Wind und Sonnenschein. Vorm roten Turm am abgebrannten Schloss in Düsseldorf, das heute nur noch gut planiertes Pflaster ist, schaukelt das Schiff und wartet mit Geduld der Letzten, die ihre Hüte und Röcke in der Rheinluft schützend dem kleinen Dampfer winken. Doch endlich rasseln mit dem Geklapper, das nur bei kleinen Fahrzeugen so bedeutend ist, die Ketten; bald schießt das Boot im raschen Strom den hohen Zwillingsbogen der Eisenbrücke zu. Es ist die schönste Brücke am ganzen Rheinstrom; zwei schlanke Bogen von 180 Meter Spannung tragen die Fahrbahn unter sich, scheinbar an Eisenträgern, die dünn und weit auseinander stehend, das Eisen-werk von weitem in nichts zergehen lassen, aus Licht und dünnen Schatten hingebaut. Und erst, wenn unter ihren Bogen das Schiff durchgleitet, erkennt man staunend die ungeheuren Dimensionen und ist bedrückt und auch beglückt zugleich von einer Baukunst, die alles, was jemals in den Türmen und Schiffen der Gotik an Konstruktion geleistet wurde, in der Kühnheit wie Einfalt übertrifft. Und wenn sich dann vor unseren Blicken, im raschen Strom abgleitend, die Fahrbahn wieder senkt und sich die Bogen wieder heben zu ihrer leichtgeschwungenen Kurve: gehen uns wohl Ähnlichkeiten auf in der Verstäbung, wir staunen fast ein neues Stück der deutschen Gotik an.

Indessen spinnt sich schon ein grauer silberzarter Duft um ihre dunklen Eisenstücke und macht sie hell und zart; wie er die Bäume am Ufer zarter macht — es sind auch hier die deutschen Pappeln und alle ein wenig schief gebogen mit dem Wind -- und wie die Türme und Dächer dicht überm Wasser, und wie der Himmel selber. Perlmutterscheinig duftig grau, darin die stärksten Farben nur verschwiegen leuchten und alles sich in eine Harmonie sehr zarter Klänge hüllt: so ist der Niederrhein, wenn man an einem Sommertag von Düsseldorf nach Kaiserswerth das Dampfboot nimmt; auch wenn der Wind sehr lustig weht und unterwegs die weißgetünchten Häuser mit grünbemoosten Ziegeldächern, auch schwarzglasierten Pfannen, auch oft gefleckt, schon praller in der Sonne stehen. Es ist nicht mehr der grüne Rhein, auch nicht der eisengraue: hell schäumt das Wasser in dem Wind und ist schon wie ein kleines Meer.

Und wenn wir so, duftig zerblasen, in Kaiserswerth gelandet sind, wo an der hohen Ziegelmauer die Bengel unnütz ihre Glieder rekeln und ein paar Gaffer frech die Fremden mustern: dann weiß ich wohl was Besseres, als mit dem Tiefblick eines Forschers an den Fundamenten der Kaiserpfalz herum zu schnüffeln, auch besseres noch, als in der Kirche des heiligen Suitbertus eine niederrheinische Pfeilerbasilika zu bewundern, die vor dreißig Jahren ein Professor aus Berlin stilvoll herrichten und mit zwei völlig neuen Türmen ausbauen konnte. Das Bessere aber ist, behaglich in das Städtchen hinein zu schlendern, das in der überbreiten Mittelstraße mit vielen Nebengassen das saubere Bild einer Wohnart am Niederrhein vermittelt.

Das Haus ist hier ein niedriges Backsteinding, doch ganz getüncht in einem duftig grünen Blau, das in der Ferne heller leuchtet als jedes Weiß und in der Nähe zartfarbig matt – nicht schmierig glänzend wie Ölfarbe – ein Farbenlabsal für das Auge ist. Der Sockel dazu schwärzlich grün, auch braun, auch grau, doch immer gut gestimmt — manchmal japanisch fein — zu grünen Läden und dem weißen Fensterwerk. Erstaunt muss man den Tünchern hier vom Lande einen Geschmack zuerkennen, den später die kunstgewerblich überbildeten Anstreichermaler schamlos verdarben.

Ein solches Haus zu sehen, wenn unter Bäumen die Sonne auf die getünchten Wände ihre Lichter und Schatten wirft, die auf dem blaugrünen Weiß viel Helligkeit behalten, fast transparent, wie wenn es gar nicht aus Steinen gebaut wäre: ist ein Entzücken. In der geschlossenen Straße steht es ernster da. Da wirken die gekalkten Wände als Reinlichkeit; und reinlich ist auch alles drinnen, funkelnd das Geschirr, und Samstags auf dem weiß geschrubbten Boden weißer Sand, auch auf dem blankgescheuerten Ofen. So war es früher meilenweit um Düsseldorf; nun kommt die Industrie und baut das Vorstadt-Ziegelhaus, diesen Kasten voller Armseligkeit zwischen zwei Brandgiebeln auf jedes freie Feld. Selten und meist nur Winkel noch, wo man entzückt und wehmütig diese helle Wohnlichkeit genießen kann. Denn weiter gegen Holland hin, wo noch die bäuerliche Stille träumt, da steht mit wohlgefugten Giebeln und Fassaden, holländisch schon, ein schweres Backsteinhaus.

Quelle: Aus: Wilhelm Schäfer: Der Niederrhein und das bergische Land, 1907