Heimat-Jahrbuch 2008

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Malunterricht bei Max Clarenbach
Der Restaurator Karl Weilers ist in vielen Handwerken erfahren
Von Christa-Maria Zimmermann

„Der Karl, der hat ein Händchen für alles. Egal, was der in die Finger kriegt, er macht was draus.“ Hanni Jansen muss es wissen, denn sie kennt Karl Weilers seit fast 75 Jahren, seit Beginn ihrer gemeinsamen Schulzeit in der Wittlaerer Volksschule. In ihrem malerischen Häuschen am Rheindamm hat sie auch gleich mehrere Beispiele für Karl Weilers handwerkliches Geschick parat: ein Segelschiffchen aus einer Mangrovenwurzel, mit Blau und Blattgold akzentuiert, ein Kreuz aus bizarr gebogenen Holzresten, eine Heizungsverkleidung aus glänzendem, dunklem Eichenholz, die früher mal ein Balken war, der beim Umbau des Hauses übrig blieb, eine Kohlezeichnung von Weiden am Schwarzbach - und ein mit runden Findlingssteinen belegter Gartenweg und Terrassenboden, die fast so wirken wie ein mittelmeerischer Kieselstrand. „Das machen die meisten falsch bei diesen Steinen“, erklärt der gelernte Maurer. „Sie klatschen so viel Mörtel dazwischen, dass man am Ende nichts als dicke breite Fugen sieht.“

Mit Steinen und Holz in jeder Form kennt Karl Weilers sich seit frühester Jugend aus. Und das handwerkliche Geschick liegt in der Familie: Schon der Großvater war Glasmaler und Malermeister, der Vater Maurermeister. Dessen Schwager, der Wittlaerer Dorfpolizist Johann Thiel, schrieb nach dem 1. Weltkrieg nach Hause, dass hier beim Brunnen- und Stromleitungsbau Arbeit zu finden wäre. Zu Hause, das war Millingen bei Rees am Niederrhein. Beide Eltern Karls stammten aus diesem Dorf und kannten sich von Jugend an.

1919 zogen sie nach Wittlaer in den ehemaligen Bauernhof an der Bockumer Straße 23. Hier wurde Karl als drittes von vier Kindern am 31. März 1926 geboren. Der Hof war so groß, dass er noch einer zweiten Familie Platz bot. Es gab einen ausgedehnten Garten, in dem Kartoffeln, Obst und Gemüse wuchsen. Es gab Ställe für Hühner, Schafe, Schweine, einen Wachhund und außerdem mehrere Katzen für die zahllosen Mäuse in der großen Scheune, in der immer noch Heu und Getreide lagerten. Im tiefen Keller befand sich ein Brunnen aus der Zeit, als weder Wasserleitungen noch Kanalisation existierten.

Ins väterliche Unternehmen
Der Vater arbeitete zunächst als Polier, baute sich dann ein eigenes Geschäft als Bauunternehmer auf, Lagerplatz und Schuppen standen ja hinter dem Haus zur Verfügung. Gleich nach der Schule stiegen auch Karl und sein Bruder Willi ins väterliche Unternehmen ein. 1943, mit 17 Jahren, erhielt Karl seinen Gesellenbrief als Maurer und wurde, als er gerade 18 war, zur Marine eingezogen. Ein Dreiviertel Jahr lag er mit seiner Einheit auf Sylt, wurde als Froschmann ausgebildet, kam aber nicht zum Einsatz und wurde in den Wirren des endenden Krieges nach Aachen versprengt. Dort wurde er bei einem Angriff der näher rückenden Amerikaner verschüttet, behielt zwar seine heilen Glieder, aber sein rechtes Ohr war schwer verletzt. Erst nach mehreren komplizierten Operationen gewann er die Hörfähigkeit wenigstens zum Teil wieder.

Aus der amerikanischen kam er in englische Kriegsgefangenschaft. Im Lintorfer Lager erfuhr er zufällig, dass die Gefangenen zu einem Arbeitseinsatz verschickt werden sollten. So nahe der Heimat, und jetzt doch noch ins Ungewisse? Karl entschloss sich zur Flucht, trotz des Risikos. Mit improvisiertem Werkzeug aus Holzkeilen hebelte er nachts das Fenster der Baracke aus, in der die Schreibstube untergebracht war und klaute seine Papiere. „Wenn die Tommies beim Appell gemerkt hätten, dass ich fehlte, dann hätten sie mich sofort zu Hause gesucht.“ Er überwand oder besser unterwand auch den Stacheldraht um das Lager, nämlich durch einen Wassergraben, der durch die starken Regenfälle ausgewaschen war und den er mit bloßen Händen ausbuddelte, bis er hindurchkriechen konnte.

Aber welche Richtung sollte er jetzt einschlagen? Die Nacht war stockfinster, er konnte buchstäblich die Hand nicht vor Augen sehen. Er wusste nur, dass Wittlaer im Westen lag. Aber wo war Westen? Da kam dem Flüchtenden der rettende Einfall: Auf der der Sonne abgewandten Seite sind die Bäume besonders feucht und bemoost. Er schlich von Stamm zu Stamm, tastete jeden ab und suchte sich so Meter für Meter seinen Weg durch den dichten Wald. Als er sich auf die Felder herausgearbeitet hatte, machte er einen weiten Bogen um jede Ansiedlung und erreichte schließlich noch vor dem Morgengrauen den Hof an der Bockumer Straße.

Am liebsten hätte er sich gleich an den Wiederaufbau der beschädigten und zerstörten Häuser gemacht. Aber nach Ansicht des Pfarrers hatte etwas anderes Vorrang: die Reparatur der schwer mitgenommenen Wittlaerer Kirche. Er hatte bereits alle Gerüste vom Weilerschen Hof holen und um die Kirche aufbauen lassen. Drei Monate lang saß Karl Weilers mit anderen Freiwilligen auf dem durch mehrere Treffer beschädigten Dach, bis es zumindest provisorisch gesichert und auch die Schäden am Mauerwerk behoben waren - und das alles für Gottes Lohn.

Arbeit gegen Naturalien
Erst dann kamen die weltlichen Kunden an die Reihe. Die ersten waren die Euler-Schwestern vom Melbeckshof, dessen Giebel zerschossen worden war. „Die beiden waren absolute Meister im Organisieren. Und noch größere Meister im Stricken. So etwas hab ich nie wieder gesehen“, erinnert sich Karl Weilers voller Bewunderung. „Jeder in Wittlaer war hinter einem Pullover oder einem Rock Marke Euler her. Sogar ganze Kostüme haben sie gestrickt. Und Decken bestickt und behäkelt und Kissen und Behänge - was man sich nur denken kann. Und alles wurde eingetauscht, gegen Baumaterial für das beschädigte Haus, aber auch gegen Speck und Kartoffeln.“

Überhaupt blühte damals in ganz Wittlaer der Tauschhandel. Auch Vater und Söhne Weilers übten ihren Beruf hauptsächlich gegen Naturalien aus. Selbst als nach der Währungsreform wieder normale Zeiten eingekehrt waren und Rechnungen mit D-Mark bezahlt wurden, kehrte Karl Weilers noch einmal zu der überholten, aber bewährten Zahlungsart zurück.

1950 hatte er an der Kalvey ein Haus für Melitta Clarenbach gebaut, ein Geschenk des berühmten Malers an seine Tochter aus erster Ehe. Aber die Begleichung des Honorars ließ auf sich warten. Wenn der junge Mann im „Haus Clarenbach“ oberhalb des Heckenwegs (1908 samt Garten von dem genialen Architekten Josef Maria Olbrich entworfen und bis zu seinem entstellenden Umbau eine Wittlaerer Sehenswürdigkeit) vorstellig wurde, gab es immer nur einen kleinen Teil der Summe und eine freundliche Entschuldigung: „Wissen Sie, Herr Weilers, im Moment hab ich grad nichts flüssig.“. Schließlich hatte Karl Weilers eine Idee. Er war schon damals in jeder freien Stunde mit dem Paddelboot - und mit dem Zeichenblock unterwegs. Obwohl die Familie sehr beeindruckt war von seinen Skizzen, war er selbst mit dem Resultat nicht zufrieden. Er wollte „richtig“ malen lernen. Und da gab es einen Maler in Wittlaer, der fast dreißig Jahre lang Professor an der Düsseldorfer Kunstakademie gewesen war und mehreren Generationen von Künstlern Unterricht gegeben hatte – und dieser Mann hatte Schulden bei ihm.

Beim nächsten Besuch im „Haus Clarenbach“ fasste der junge Mann sich ein Herz. „Ich erlasse Ihnen das Geld, Herr Professor - wenn Sie mir dafür Unterricht geben.“ Karl Weilers kann sich noch heute an jede Einzelheit dieser Szene erinnern. „Erst hat er mich angesehen, als ob ich den Verstand verloren hätte. Aber er hat nicht gelacht. Und dann hat er sich meine Zeichnungen angesehen. Und hat zugestimmt.“ Fast zwei Jahre lang, bis zu Max Clarenbachs Tod im Juli 1952, durfte der junge Mann einmal pro Woche dem Künstler bei der Arbeit zusehen, der ihm dabei jeden Pinselstrich, den er machte, erklärte. Und ihn immer wieder nachdrücklich darauf hinwies, dass das A und O für jeden Maler das Zeichnen sei. Zeichnen, und zwar gründlich und richtig, das musste jeder angehende Maler lernen. Nicht der Sinn für Farbe und Komposition, sondern die Zeichnung war die Grundlage für eine künstlerische Entwicklung.

Seit diesen Privatstunden ist Karl Weilers der Malerei treu geblieben. Wie bei seinem berühmten Lehrer gehört auch bei ihm die Niederrhein-Landschaft zu den Lieblingsmotiven. Wie viele Bilder er in den vergangenen 55 Jahren wohl gemalt hat? Er hat sie nicht gezählt - genauso wenig wie die zahllosen Objekte aus Holz, die er gefertigt hat. Er räumt die Fotos von den Ölgemälden beiseite und breitet einen zweiten Stapel Abbildungen auf dem Tisch aus. Holz? Wieso Holz?

Putz mit Magermilch und Kuhdung
„Also, das kam so.“ Karl Weilers muss gar nicht nachdenken, schon schnurrt er die nächsten Erinnerungen herunter. Einige Zeit nach dem Krieg erschien der Kölner Dombaumeister Weyres in Wittlaer und bemängelte den Putz in der Kirche: zu modern, zu glatt, zu dick. „Der ganze Putz muss runter. Und für den neuen brauch ich einen Fachmann, der genau nach meinen Angaben arbeitet.“ Der junge Bauunternehmer erinnerte sich an die ertraglosen Monate auf dem Kirchendach, sah die Möglichkeit, jetzt auch mal was zu verdienen und bot seine Dienste an.

Der Kalk kam in Brocken aus Wülfrath, da gab's und gibt's den besten. Er wurde in der Pfanne gelöscht und musste ein halbes Jahr lang ruhen, damit später nicht kleine Restbrocken den Putz zerstören konnten. Dann wurde der Kalk mit Magermilch angerührt, damit er die richtige Festigkeit bekam für einen hauchdünnen Auftrag. Je dünner, je besser, denn die Tuffsteine müssen durch den Putz atmen können, sonst verwittern sie. Und noch etwas war dem Dombaumeister wichtig: Der Putz sollte nicht knallweiß sein, sondern einen ganz leichten Grünstich haben, das machte seiner Meinung nach einen entscheidenden Unterschied.

„Und wissen Sie, wie ich den erzielt hab?“ Karl Weilers grinst breit. „Das Beste ist Kuhdung. Aber natürlich nicht so, wie man ihn im Stall oder auf den Wiesen aufsammelt. Nein, man muss sich schon die Mühe machen, ihn durchzusieben. Und zwar immer wieder, mit immer feinerem Raster, bis man zum Schluss nur noch die zarten grünen Partikel vom Futter übrig hat. Die kommen dann in die Kalkbrühe, natürlich nicht eimerweise, sondern in einer ganz bestimmten Mischung. Und die ergibt dann ein wunderbar gebrochenes Weiß. Diese Methode hat außerdem den Vorteil, dass man nur mit natürlichen, nicht mit chemischen Zutaten arbeitet, die den Kalk zersetzen würden.“

Der Dombaumeister war so angetan von dem Resultat der Arbeit, dass er eine Empfehlung beim Landeskonservator aussprach. In den nächsten Jahren hagelte es förmlich Aufträge, für Schloss Kalkum, für die Kellnerei Angermund, für Schloss Langwaden, für Dutzende Kirchen und Kapellen. Anfang der 60er Jahre musste Karl Weilers das Baugeschäft seinem Bruder Willi überlassen, um sich ganz auf die Restaurierungen konzentrieren zu können. Die meisten Bauunternehmer, mit denen er dabei zusammen arbeitete, waren froh, dass er ein Handwerker war, der sich mit der Materie auskannte, und nicht ein Studierter. „Mir konnten sie sagen: ‚Wir haben das und das Problem’, und ich wusste sofort, was sie meinten und worauf es ankam. Sogar beschädigte Fresken hab ich neu gemalt.“

Verfeuerte Prunktreppe nachgeschnitzt Und das Holz? Wann kam das Holz? In Schloss Langwaden. Das war nach dem Krieg als Flüchtlingsheim genutzt worden und musste vor dem Einzug der Zisterzienser vollständig renoviert werden. „Die Leute hatten die Täfelung und Einbauten zum Feuermachen benutzt. Von der Prunktreppe waren nur noch ein paar Pfosten und ein Stück des Handlaufs übrig geblieben, in einem Format, das man unmöglich drechseln konnte. Der Restaurator war verzweifelt, weil es für eine solche Arbeit keinen Fachmann gab.“ Karl Weilers erbot sich, einen Versuch zu machen, schließlich hatte er ja auch den Dachstuhl der Wittlaerer Kirche erneuert. Er begann, den ersten Pfosten aus einem mächtigen Balken zu schnitzen, der bei der Renovierung ausgebaut worden war. Es war eine mühsame Arbeit, aber schließlich war der neue Pfosten von seinem erhaltenen Vorbild nicht zu unterscheiden! In vielen Monaten entstand die verfeuerte Prunktreppe in alter Schönheit.

Seitdem hat Karl Weilers für viele Kirchen und Klöster Chorgestühl, Kanzeln und Beichtstühle nachgearbeitet. Auch moderne Kunstwerke hat er entworfen und gefertigt. Der zweiflügelige Haupteingang für die evangelische Kirche in Wesseling, ein Brettmosaik aus Edelhölzern, wurde sogar in dem Band Gestaltendes Handwerk 1968/69 abgebildet. Auch in vielen Wittlaerer Privathäusern hat sich Karl Weilers verewigt: Mit extravaganten Kellerbars, mit Holzmosaiken, mit bizarren, aus einem Stück geschnittenen Möbeln, mit Beleuchtungsobjekten, mit einer Stelenprozession in einem Einbrunger Garten - und mit fast 50 Kaminen, natürlich aus Stein. Aber er ist doch gar kein Kaminbauer? Er winkt ab. „Man muss mit Mörtel umgehen können und ein Gespür für Steine haben.“ Der Bezirksschornsteinfegermeister Schorn hat jedenfalls alle Kamine abgenommen und bei keinem auch nur einen einzigen Mangel festgestellt. Er war außerdem so beeindruckt von der Auenlandschaft, die Karl Weilers an den Giebel der Gaststätte „Zum Froschenteich“ gemalt hatte, dass er ebenfalls ein Fresko für sein Haus in Kettwig in Auftrag gab: den Heiligen Florian, den Schutzpatron der Feuerwehrleute und Schornsteinfeger.

In Weilers Garten steht ein mannshohes Holzkreuz aus 100 Einzelkreuzen aller Größen, jedes Teil mit der Axt gespalten, ohne Säge bearbeitet, mit Holzstiften zusammengefügt. Der Seelsorger der St. Mauritius Therapieklinik, in der Karl Weilers kürzlich eine Kur machen musste, war so begeistert von dem Foto, dass er ein ähnliches Werk für die Kapelle erbat. „Aber Sie wissen ja, der Pfarrgemeinderat…“ Inzwischen hängt das beeindruckende Werk über dem Altar der Mauritius-Kapelle – mal wieder für Gotteslohn.

Noch mehr Fotos: Ein Altarkreuz aus Eisenabfällen für die evangelische Kirche in Lechenich, in der Karl Weilers auch den Fußboden gestaltet hat, wie in vielen weiteren Kirchen. Ein Leuchter aus Hufeisen. Eine Eule aus der Narbenwucherung einer Buche. Und… und… Auf dem Tisch ist kein Fleckchen Platz mehr, der Schreibenden wird die Hand lahm. „Aber das muss ich Ihnen noch erzählen, das war bei der Renovierung der Kellnerei Angermund.“ Man merkt Karl Weilers sein Alter nicht an. Die blauen Augen blitzen, er wirkt überhaupt nicht müde. Im Oktober 2007 haben er und seine Frau Gislinde Goldene Hochzeit gefeiert, mit dem einzigen Sohn und drei Enkeln.

„Also, wir lassen das Wasser im Graben ab und fangen an den Grundmauern an. Alles durch Efeu und Feuchtigkeit völlig verwittert. Erst mal muss der Efeu runter.“ Der Restaurator sägt gerade einen dicken Stamm durch und betrachtet dabei voller Interesse dessen eigentümlich gedrehte Form. So einen Efeustamm hat er noch nie gesehen, denkt er und überlegt schon, für welches Kunstwerk er ihn verwenden könnte, da platscht er auf einmal neben ihm auf den Boden und entpuppt sich als eine fast zwei Meter lange Schlange mit giftgrünem Rücken, die eilig davon kriecht. Nach dem ersten Schrecken setzt er hinterher, versinkt bis zu den Knöcheln im Schlamm des Burggrabens und stößt ihr seinen Spaten hinterm Kopf in den Rücken. Dann geht er doch lieber Hilfe holen, aber als er zurückkommt, ist die Schlange verschwunden. Nach einem Anruf im Duisburger Zoo erscheint Direktor Dr. Gewalt mit zwei Schlangenfängern, die das gesamte Gelände durchkämmen. Sie finden außer der verletzten Tropenblindschleiche noch zwei weitere Exemplare - und 3000 Eier.